Ist Euch was aufgefallen? Werbung für Fußball an jeder Ecke? Im Supermarkt gibt es praktisch nichts mehr ohne irgendeinen noch so abstrusen Fußball-Bezug, vom Käse bis zur Klobürste? Fähnchen an allen Autos, Fahnen an den Häusern? Nein. Es ist ja auch "nur" Frauen-Fußball-EM. Dass da Top-Leistungen gespielt werden, wie beim Spiel Deutschland gegen Dänemark (4:0) oder das 8:0 zwischen England und Norwegen, überhaupt: 50 Tore in 14 Spielen (kein einziges Spiel torlos - in der Vorrunde der Männer-EM 2021 gab es in der gesamten Vorrunde einen Schnitt von 2,6 Toren/Spiel). Alles bestenfalls eine Randnotiz in der Presse.
Immerhin schauten rund 8 Mio. Fans den 2:0-Sieg Deutschlands gegen Top-Favorit Spanien und bescherten der ARD damit einen Marktanteil von rund 34%. Aber ansonsten bleibt das Ereignis der Fußball-EM der Frauen in England weitestgehend doch eher eine Randerscheinung. Das spiegelt sich auch in der Prämie wider: In Deutschland wurde die Siegprämie für einen EM-Triumph der Frauen zuletzt angehoben - auf 60.000 Euro. Bei den Männern hätte der DFB 2021 im Fall eines EM-Titelgewinns jedem Spieler 400.000 Euro überwiesen. Übrigens ist die Frauen-Nationalmannschaft Olympiasieger 2016, zweifacher Welt- und achtfacher (!) Europameister im Frauenfußball (Platz 5 in der FIFA-Weltrangliste).
Aber zurück zum Ereignis an sich: Spielzeit im Sommer. In England, dem "Mutterland des Fußballs", in epischen Stadien (Wembley, Old-Trafford, etc.), wo es keinerlei Ausschreitungen gibt, Fanblocks rivalisierender Teams sind gemischt in einem Block und feiern gemeinsam friedlich. Über die Rolle Englands als demokratischer Staat, in dem die Pressefreiheit und weitere Bürgerrechte gelten, müssen wir erst gar nicht sprechen. "Public Viewing" machbar. Grillen, Bier trinken (sogar im Stadion) und Fußball schauen - kein Problem. Seht ihr irgendwo Fan-Meilen? Bekommt Ihr in Eurer Nachbarschaft Fußball-Partys mit?
Stattdessen schauen die meisten mehr oder weniger gebannt auf den Winter. Nicht nur wegen des zu erwartenden Gas-Mangels, sondern wegen der dann stattfindenden Fußball-WM der Männer... in Katar. Einem Emirat, kleiner als Thüringen, einer absolutistischen Monarchie (Unterschied England/Vereinigtes Königreich: Parlamentarische Monarchie). Wo es aktuell Temperaturen jenseits der 40 Grad hat und damit viel zu heiß für ein Sommerturnier. Die Menschrechtslage im Land gilt als äußerst kritisch: Beim Thema "politische Rechte" bekommt Katar 7 von möglichen 40 Punkten und bei "bürgerlichen Freiheiten" 18 von 60. Auf der Liste der Pressefreiheit landet Katar auf Platz 128 von 180. Besonders die Arbeitsmigranten in Katar werden größtenteils menschenunwürdig behandelt und befinden sich teilweise in moderner Sklaverei: Über 6.500 Arbeiter verloren beim Neubau der acht WM-Stadien und der dafür notwendigen Infrastruktur seit 2010 ihr Leben. Der Staat wurde in den letzten Jahren außerdem aufgrund seiner Unterstützung der Muslimbrüder und anderer radikalislamischer Gruppen sowie Terrororganisationen wie der Hamas kritisiert. Dies führte zur Katar-Krise 2017 bis 2021, im Zuge derer Katar sogar von wesentlichen Ländern der arabischen Welt boykottiert wurde.
Das Land wird mit der WM eine PR-Bühne sondergleichen erhalten und sich weltoffen und modern präsentieren. Ein Land, in dem die "Scharia" (islamisches Recht) über dem bürgerlichen Recht steht. Da wird während der WM keine Rede davon sein, dass beispielsweise Lesben und Schwule für fünf Jahre ins Gefängnis wandern, wenn sie sich öffentlich outen. Niemand wird darüber sprechen, dass es an öffentlichen Orten eine strikte Geschlechtertrennung gibt (z.B. separate Bankschalter) oder dass Frauen einen männlichen Vormund benötigen, um selbständig zu handeln, Verträge abzuschließen oder nur das Haus zu verlassen. Oder, dass eine Frau, welche einer Vergewaltigung zum Opfer fällt und diese zur Anzeige bringt, selbst wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs verhaftet und angeklagt wird. Wer übrigens zum Spiel gerne ein Bier trinken möchte (sofern man eins bekommt), der muss ebenfalls mit Haftstrafe oder Peitschenhieben wegen Alkohol in der Öffentlichkeit rechnen.
[Sarkasmus ein] Freuen wir uns also darauf, im November in unserem Wohnzimmer (Public Viewing bei Minustemperaturen wird es wohl eher nicht geben) bei regulierten 19 Grad Celsius (um Energie zu sparen) bei Glühwein und Dominosteinen (Männer-)Fußball zu schauen, der bei rund 30 Grad Celsius Außentemperatur vor Ort in klimatisierten Stadien stattfindet. [Sarkasmus aus]
Kommentare
Kommentar veröffentlichen