Immer
mehr Menschen wünschen sich ein Verbot oder zumindest eine
Einschränkung des Privatverkaufs. Das zeigt eine neue Umfrage aus dem November 2022:
In der repräsentativen Studie des Instituts Insa Consulere im Auftrag
der Verbraucherzentrale Brandenburg stimmten 53% der Teilnehmer_innen
für ein Verbot, 39% waren dagegen. Die Zustimmung für ein Verbot von
privatem Feuerwerk war im Westen Deutschlands (54%) etwas höher als im
Osten (50%).
Und
der Zeitgeist scheint Wirkung zu zeigen... die Baumarkt-Kette Hornbach
sagt: Das Sortiment wurde auf Anregung von „Tier- und
Umweltschutzverbänden“ um Silvesterböller bereinigt. Auch viele
Obi-Märkte bieten „aus Gründen der Nachhaltigkeit“ keine Knaller und
keine Raketen mehr an. Toom-Baumärkte und Bauhaus-Filialen haben laut
der Tierschutz-Organisation Peta wegen des „Gefahrenpotenzials von
Feuerwerkskörpern“ „zugesichert, künftig keine Feuerwerkskörper mehr zu
verkaufen“. Ebenfalls mit dabei sind Baumärkte von Globus, ein Großteil
der Hagebau-Märkte und die Drogeriekette Rossmann.
Den
Schuss noch nicht gehört, haben hingegen u.a. Kaufland und Lidl, welche
sogar mit Sonderprospekten auf ihr umfangreiches Sortiment aufmerksam
machen.
Das Für und Wider wird kontrovers diskutiert. Gegen Feuerwerk sprechen diverse Gründe:
FEINSTAUBBELASTUNG:
Immer (!) wenn etwas verbrannt wird, entstehen Schadstoffe. Fakt. Über
2.000 Tonnen Feinstaub werden bundesweit in der Silvesternacht in die
Luft geblasen, schätzt das Umweltbundesamt - nur durch Feuerwerk, also
"on top". Zahlreiche städtische Stationen messen in den Stunden nach Mitternacht oft
ihre Jahreshöchstwerte von bis zu mehreren 1000 Mikrogramm (normal sind
Werte um 20 Mikrogramm). Neujahr 2021 war das anders (bundesweites
Verkaufsverbot von Böllern und Raketen wegen Corona): Die freigesetzten PM10-Mengen waren außergewöhnlich niedrig.
Kein
Mensch würde freiwillig zwei Monate auf einer belebten Kreuzungsinsel
campieren und den Verkehrssmog einatmen. Aber an Silvester mit 'nem
Sektchen 'ne halbe Stunde draußen stehen, das ist okay (in beiden Fällen
würde in etwa die gleiche Menge Feinstaub eingeatmet).
Feuerwerkshersteller betonen, dass man versuche, vom herkömmlichen
Schwarzpulver auf einen synthetischen Zündstoff umzusteigen. Aber solche
Entwicklungen geschähen nicht von heute auf morgen, da bedarf es
"jahrelanger Forschung". Sie argumentieren auch, dass man das Zünden von
fünf großen Feuerwerksbatterien zu Silvester ausgleichen könnte, indem
man eine einzige Autofahrt von 5 km einspart. Möglich. Mit dem
Unterschied, dass das eine absolut verzichtbar ist, das andere mitunter
schwierig (Arbeit, Einkauf, etc.) - immerhin fährt kaum jemand nur "just
for fun" durch die Gegend. Feuerwerk ist einzig und allein "just for
fun".
MÜLL:
Allein in Berlin werden am Neujahrsmorgen über 600 Mitarbeiter
beschäftigt sein, die rund 450 Kubikmeter an Überresten der Knallerei zu
beseitigen. In den fünf größten deutschen Städten (Berlin, Hamburg,
München, Köln und Frankfurt am Main) entfernen die kommunalen Entsorger
an bestimmten Hotspots am Neujahrstag rund 200 Tonnen Silvesterabfall.
Zum Vergleich: Jeder Privathaushalt in Deutschland produziert im Schnitt
etwas über eine halbe Tonne Restmüll - im gesamten Jahr.
Auch
wenn seitens der Hersteller beispielsweise immer mehr Kunststoff gegen
Papier ausgetauscht wird (z.B. Spitzkappen von Raketen), auch wenn die
Reste der Feuerwerksraketen biologisch abbaubar seien (Papier/Holz): Sie
sind immer noch kein Fall für die Biotonne. Hierbei muss man zwischen
theoretischer und praktischer Kompostierbarkeit unterscheiden:
Theoretisch können die verwendeten Ausgangsstoffe kompostierbar sein.
Bei der Zündung von Feuerwerkskörpern entstehen allerdings viele
Schadstoffe, welche den Kompost verunreinigen (wer möchte schon
Feinstaub in seinen Erdbeeren?). Bis zum "ökologischen Feuerwerk" wäre
es noch ein sehr langer Weg.
TIERLEID:
Es sollte allgemein bekannt sein, dass Haustiere wie Katzen und
besonders Hunde ein ausgeprägtes Gehör haben und daher speziell unter
den lauten Böllern leiden. Aber auch eine "für die Kinder" am frühen
Abend gezündete Rakete verschreckt Hunde auf der gewohnten Gassirunde
zutiefst (ich spreche aus Erfahrung). Auch Vögel reagieren panisch,
einige von ihnen verlassen fluchtartig die Stadt und kehren zum Teil nie
wieder an ihren Schlafplatz zurück. Dabei verlieren sie Energie, die
sie im Winter dringend benötigen. Die Umweltschutzorganisation NABU
warnt besonders vor der Knallerei auf Grünflächen und in Parks. Dort
werden die Tiere aufgeschreckt und fliehen dann in mitunter eisige
Höhen, weil sie keinen anderen Ausweg sehen. Nicht wenige Wildtiere
sterben durch das Feuerwerk oder erleiden Gehörschäden.
Die
Feuerwerksindustrie weist darauf hin, dass der Anteil von "lautem
Feuerwerk" (Böller) lediglich 5% betragen soll, 95% hingegen sind
Lichteffekte, welche auch immer leiser werden würden (ich persönlich
würde das Verhältnis 5/95 zumindest in Frage stellen wollen - ich
empfinde das Verhältnis an Lärm und Optik stets etwa 50/50). Außerdem
betonen sie, dass Tiere auch bei Gewitter oder lautem Baulärm Angst
hätten. Unterschied: Knallerei an Silvester könnte man mit einem Verbot
umgehen - ein Gewitter eher schlecht. Und monotoner Straßen-/Baulärm
stört zumindest unseren Hund bedeutend weniger als das
Jahresend-Spektakel.
VERLETZUNGEN:
Bestimmte Kombis sind von Natur aus keine gute Idee... Drogen und
Autofahren z.B.. Alkohol und Feuerwerk gehören zweifelsohne dazu. In der
Zeit zwischen 19:00 und 06:00 Uhr am Neujahrsmorgen müssen die
Feuerwehren etwa vier Mal so häufig zu Einsätzen raus. Nach Angaben des
Deutschen Ärzteblatts erleiden jährlich 8.000 Menschen zu Silvester
Verletzungen des Innenohrs durch Feuerwerkskörper; rund ein Drittel
behält bleibende Schäden. An dramatischen Beispielen herrscht aber auch
kein Mangel. Beim Jahreswechsel 2021/22 starb ein 37-jähriger Mann im
nordrhein-westfälischen Hennef durch die Explosion eines
Feuerwerkskörpers.
Der Regelfall dürften vor allem Hörschäden und Verletzungen an Händen
durch explodierte Knaller sein. Sie können ein Knalltrauma auslösen, das
mitunter einen bleibenden Verlust von Hörvermögen nach sich ziehen
kann.
Sicher
kann man argumentieren "Muddu Sicherheitshinweise lesen!!!", aber nach
dem x-ten Bier liest es sich oft schlecht und häufig hat der nicht
zertifizierte Böller, den man günstig hinter der Grenze geschossen hat,
auch gar keine derartigen Hinweise. Dass die Kliniken hierzulande auf
dem Zahnfleisch gehen, sollte sich herumgesprochen haben. Falls nicht:
Es fehlen bereits jetzt bundesweit rund 200.000 Fachkräfte in der
Pflege. Das Personal ist am Limit (oder drüber). Durch Krankenstände
müssen ganze Stationen geschlossen, terminierte OP's verschoben werden.
Akut erkrankte Kinder müssen in über 200km entfernte Häuser gebracht
werden, weil Personal und/oder Betten fehlen. Da braucht es nicht noch
irgendwelche Deppen, die sich im Voll- oder Halbrausch die Hand
wegböllern.
KOSTENFAKTOR:
Nach Auskunft des Verbands der pyrotechnischen Industrie haben die
Deutschen in den vergangenen Jahren für Raketen, Knaller und
Batteriefeuerwerke im Schnitt jedes Jahr über 130 Millionen Euro
ausgegeben. Im Vergleich mit anderen Konsumgütermärkten wirkt diese
Summe vielleicht eher klein. Vergleich: Für Schnittblumen und
Zimmerpflanzen gaben die Deutschen 2017 rund 8,6 Milliarden Euro aus.
Allerdings verteilt sich dieser Umsatz auf das gesamte Jahr. Feuerwerk
darf hingegen nur an drei Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr frei
verkauft werden.
Die
Menschen stöhnen über 2€/h für das Parkhaus in der Innenstadt, wegen
7,90€ Kontoführungsgebühr im Monat für ihr Girokonto oder dass das
Raclette-Fleisch vom Jungbullen 23,30€/kg kostet? Das Verbund-Feuerwerk
"Berserker" von Kaufland kostet sage und schreibe 139 Euro. Brenndauer:
80 Sekunden! Nur etwas über eine Minute! Das macht rund 1,75 Euro pro
Sekunde! Selbst die XXL-Power-Effekt-Fächer-Batterie "Black Magic" für
nur 40 Euro hat einen Preis/Sekunde von etwa 31 Cent (130 Sekunden
Brenndauer). Aber Scheiß drauf, Silvester ist nur einmal im Jahr! Aber
sich aufregen, dass ein Bäcker-Brötchen jetzt 40 Cent oder mehr kostet
oder ein Brot fast fünf Euro. Apropos: Mit den besagten 130 Mio. Euro
ließe sich auch ermöglichen, dass kein Kind mehr Hunger leiden müsste...
an keinem Tag im Jahr, WELTWEIT!
Laut
"Brot für die Welt" könnte für 45€ ein Mutterschaf finanziert werden -
mit einer Schafzucht können Familien in Äthiopien ihre Kinder ernähren.
Für 115€ lässt sich ein ganztägiges Seminar an einer Schule über den
sorgsamen Umgang mit Wasser in Burkina Faso ermöglichen. Und für 210€
können 60 Kleinbauern lernen, wie sie nährstoffreiche Pflanzen anbauen,
die auch Dürren aushalten.
Was
spricht denn aber für Feuerwerk? Nun, laut der Röder Feuerwerk
Handelsgesellschaft mbH mit Sitz in Schlüsselfeld (einer von
Deutschlands größten Online-Shops für Konsumentenfeuerwerk!) ist es "die
farbenfrohe Silvestertradition ... ein faszinierendes Spektakel, das
die Ursehnsüchte nach dem Beherrschen des Feuers bei jedem von uns
befriedigt" (Zitatende). Ähm, oookaay, und sonst? "Ja, aber da hängen
doch auch Arbeitsplätze dran!". Stimmt, allein die WECO Feuerwerk GmbH,
Marktführer im Feuerwerksbereich in Deutschland und Europa, beschäftigt
lt. Wikipedia 450 Mitarbeiter, vom Produktentwickler, über
Lagermitarbeiter bis zur Bürokraft... vierhundertfünfzig! Es gibt zum
Vergleich noch rund 14.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im
Berg- und Tagebau in Deutschland (der Abschied von der Steinkohle wurde
2018 begangen). In den sieben restlichen, noch aktiven Kernkraftwerken
sind noch rund 4.000 Beschäftigte tätig.
Hmmm... lasst mich kurz abwägen, mit den o.g. Gegenargumenten. NEIN!
Verzeiht
meinen Sarkasmus, aber das Verbrennen von Hexen war im Mittelalter auch
so eine Art "Tradition", von der man sich dann glücklicherweise
irgendwann mal verabschiedet hat.
Randbemerkung:
Warum zum Teufel kommen manche Zeitgenossen auf die abstruse Idee, ihre
Restbestände vom Vorjahr teils an Weihnachten, spätestens aber am
27.12. und den Folgetagen "zu testen"? "Geil, der geht noch, den hätte
ich in fünf Tagen zünden können!"? Die Amis knallen am
Unabhängigkeitstag (04. Juli) herum. Warum hierzulande nicht am 3.
Oktober? Meinetwegen auch am Tag der Arbeit (1. Mai) oder am
internationalen Frauentag (8. März). Aber warum an Weihnachten oder
direkt danach? Und warum kann man damit nicht noch fünf Tage warten? ICH
- VERSTEHE - ES - NICHT!!!
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