In der Saison 2012/2013 fing es an: Die bis heute andauernde Erfolgsserie des FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga. Seitdem hat es kein anderer Club geschafft, am Ende der Saison oben zu stehen. Zehn Mal hintereinander haben sie es "gemeistert", oder um es anders auszudrücken: Würde sich unsere Tochter (10 Jahre) für Fußball interessieren, sie würde keinen anderen deutschen Meister kennen. Bei unserem drei Jahre älteren Sohn wäre es vermutlich ähnlich. Das war wie damals mit der (jeweils 16jährigen) Kanzlerschaft von Helmut Kohl oder auch Angela Merkel: Kinder, die entweder Anfang der 1980er oder 2000er geboren wurden, kannten teils bis zum Schulabschluss keine/n andere/n Kanzler/in. Auch für mich, der sich in den ersten Lebensjahren eher wenig für Politik interessierte, war es nicht anders - "Kanzler" und "Kohl" waren (sehr lange) untrennbar verbunden.
Ähnlich präsent ist der FC Bayern im Fußball. Eigentlich mehr noch: "Das Triple" ist im Grunde das Nonplusultra, also der Gewinn der deutschen Meisterschaft, des DFB-Pokals UND der Champions League - darunter ist es praktisch eine mittelschwere Krise für den Verein. Schon längere Zeit nicht an der Tabellenspitze zu stehen führt zum Trainerwechsel. Der Postillion hat diese Mentalität jüngst satirisch auf die Spitze getrieben, mit Schlagzeilen wie "FC Bayern feuert Greenkeeper, weil er einen Grashalm stehen ließ", "FC Bayern feuert Team-Masseurin, weil sie neulich mal kalte Hände hatte" oder auch "FC Bayern feuert Kahn und Salihamidžić, weil sie zu leichtfertig Leute feuern".
Am ehesten können sie noch den DFB-Pokal oder vielleicht auch die Meisterschaft verschmerzen. Die Champions League ist hingegen schon der prestige- und vor allem finanzträchtigste Titel. Zuletzt konnte man 2012 den Witz machen "Was ist der Unterschied zwischen dem FC Bayern und einem Buch? Das Buch hat zumindest einen Titel!" - da wurde man in allen drei Wettbewerben nur Zweiter.
Übrigens: Warum Bayern München als „FC Hollywood“ bezeichnet wird? Weil der Verein früher eher mit Dramen abseits des Platzes, als mit sportlichen Erfolgen in Verbindung gebracht wurde. Das nur am Rande als Erläuterung.
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Screenshot aus dem Video zum "FC Hollywood" |
In der aktuellen Saison ist es nun bereits definitiv: Die Bayern können "nur" noch Meister werden: Sowohl im DFB-Pokal als auch in der Champions-League ist man ausgeschieden. Und das obwohl man vor dem Rückspiel in der Champions League noch sicher war, das 0:3 aus dem Hinspiel ganz sicher drehen zu können (vermutlich ist der Redakteur Bayern-Fan). Tja, Statistik nützt/schützt nicht immer.
Nun kann man also - wie erwähnt - "nur noch" deutscher Meister werden - zum elften Mal in Folge. Das Leben kann grausam sein. Wobei DAS dieses Jahr auch gar nicht soooo sicher ist. In den Vorjahren konnte man sehr oft zwei Ereignisse relativ sicher sagen: Deutschland verkackt beim ESC grandios und Bayern wird (vorzeitig) Meister. Sehr oft fiel beides zeitgleich (irgendwann im Mai) zusammen. Dieses Jahr haben die Bayern nach 28 Spieltagen nur zwei Punkte Vorsprung vor Verfolger Dortmund (57 Pkt.). Im Grunde hätten sogar Union Berlin (52 Pkt.), RB Leipzig (51 Pkt.) und der SC Freiburg (50 Pkt.) auch noch Chancen auf den Titel. Da müsste aber schon so etwas wie ein Totalausfall auf der Zielgeraden nicht nur bei Bayern, sondern auch bei Dortmund eintreten. Und weil Statistik kein Garant ist, verzichten wir auf die übliche Betrachtung des Restprogramms und die Kaffeesatzleserei. Nur so viel und für die weniger Versierten: Es stehen noch sechs Spieltage aus, macht also im Idealfall 18 Punkte - so gesehen hätten auch noch Leverkusen, Frankfurt und Mainz Chancen, aber auch wirklich eher theoretische.
Tabelle 28. Spieltag - Quelle: Bundesliga.com
Überhaupt ist das schon sehr erstaunlich, dass der Aufsteiger Union Berlin auf Platz drei (damit auf Champions League-Kurs) ist und dahinter Leipzig und Freiburg rangieren - alles in der Vergangenheit eher "kleine Vereine". Gemessen am Wert des Kaders sind sie das im Grunde auch heute: Union Berlin 142 Mio., Freiburg 160 Mio., RB Leipzig schon 489 Mio. (zum Vergleich: Bayern 901, Dortmund 664 Mio.). Früher waren Werder Bremen (Kaderwert heute 77 Mio.), VfB Stuttgart (149 Mio.) und der Hamburger SV (81 MIo.) "Größen" in der Bundesliga. Auch Schalke 04 (121 Mio.) durfte sich 2001 nach Spielabpfiff ganz kurz als Meister fühlen, bis der FC Bayern in seinem Spiel in der Nachspielzeit noch ein Tor schoss und den Gelsenkirchenern die Schale wieder entriss (Stichwort "Meister der Herzen"). Wie gesagt am letzten Spieltag! Heute spielen all diese Vereine übrigens mehr im Tabellen-Mittelfeld, gegen den Abstieg oder in der 2. Liga.
In den Vorjahren lag die Meisterschaft für die Bayern oft schon zu Ostern im Nest (oder noch früher). Da passierte es schon mal, dass ein Bayern-Fan den anderen fragte "Du, kommst' mit zur Meisterfeier?" und der andere antwortete "Na, eigentlich wollte ich das Wochenende mit der Familie angrillen!". Ja, so ist das, wenn Dinge zur Gewohnheit werden. Und der FCB hat ja nicht nur zehn Mal in Folge die deutsche Meisterschaft gewonnen, sondern insgesamt - seit 1902 wird der deutsche Fußballmeister ausgespielt - 32 Mal. An Position zwei in dieser Rangliste kommt der Berliner FC Dynamo, welcher zehn mal DDR-Meister wurde, dann mit neun Titeln der FC Nürnberg (letztmalig 1969). SG Dynamo Dresden und Borussia Dortmund wurden jeweils acht Mal Meister (Dresden wiederum DDR-). Dann folgen Schalke 04 mit sieben Titeln (zwischen 1934 und 1958) und mittlerweile Dauer-Zweitligist HSV mit sechs (1923 - 1983).
Man sieht: Andere Vereine warten (sehr) lange auf einen (neuen) Titel. Kaiserslautern hatte es beispielsweise in der Saison 97/98 sogar als Aufsteiger mit Trainer Otto Rehhagel geschafft, Meister zu werden - zum vierten (und bislang letzten) Mal in der Vereinsgeschichte. Nur zwei Mal hatten sie in dieser Saison die Tabellenspitze an den Karlsruher SC abgegeben (am 1. und 3. Spieltag), die am Schluss als 16ter absteigen mussten. Die Bayern als Titelverteidiger aber schafften es in dieser Saison nie, an Kaiserslautern vorbeizuziehen. Fußball kurios.
Der Punkt ist: Mit der "Ach wir sind mal wieder Meister? Ja, super."-Haltung, haben es nicht nur die Fans, sondern auch die Spieler und Verantwortlichen des "FC Hollywood" in die Presse geschafft.
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Ja, es ist nur Satire! |
Thomas Müller wurde vergangenes Jahr direkt nach dem Spiel im Auto vom Stadion wegfahrend interviewt, wie er denn noch Auto fahren könne nach dem Gewinn der zehnten Meisterschaft in Folge? Seine Antwort: Man habe in der Kabine ein bisschen gefeiert, aber man ist ja Sportler. WHAAAT? Zum Vergleich: Es hat (außer Bayern München) noch kein anderer Verein geschafft, mehr als drei Meistertitel in Folge zu holen. Das hat zuletzt Borussia Mönchengladbach in den 1970ern geschafft. Ajax Amsterdam zelebrierte 2014 mit über 100.000 Anhängern ein fast infantiles Fest der Meisterfreude. Weil sie es zum ersten Mal geschafft haben oder als Aufsteiger? Nein. Für die Niederländer war es schon die 33. Meisterschaft insgesamt und die vierte in Folge.
Man stelle sich vor, irgendein anderer Club (wirklich: IRGENDEINER!) gewinnt die deutsche Meisterschaft - ja, das ist schwer vorzustellen, aber mal rein hypothetisch, einfach versuchen (die Älteren werden sich erinnern)... ein Verein, der mindestens zehn Jahre oder noch sehr viel länger darauf wartet, den größten Vereinserfolg im deutschen Fußball feiern zu können. Die Fans würden den Platz stürmen, Rasenstücke als Andenken ausreißen, Spieler mit nackten Oberkörpern in ekstatischen Menschentrauben, Fans tagelang im Delirium, Städte im Ausnahmezustand. Ich vermute, sollte (!) es der HSV nach dem Abstieg 2018 aus dem Fußball-Oberhaus es dieses Jahr doch endlich schaffen, Meister der 2. Liga zu werden bzw. einen der Aufstiegsplätze zu ergattern: Die Freude darüber wird die der Münchener über einen (evtl.) erneuten Titelgewinn mindestens elf Mal übertrumpfen!
Der Dortmunder Borsigplatz wurde komplett in schwarz/gelb eingefärbt, als der BVB 2011 und 2012 seine Meisterschaften feierte. Der VFL Wolfsburg stand 2009 vor seiner ersten Meisterschaft (und holte sie auch). Größtes Problem: Das Wolfsburger Rathaus verfügte über keinen Balkon, von dem man traditionellerweise den Fans den Pokal präsentiert. Wie gesagt: Andere Städte würden wahrlich eskalieren (oder stehen vor einem Balkon-Problem, derweil man noch nie in die Verlegenheit gebracht wurde, eine Meisterschaftsfeier auszurichten). In München werden Fotos vom leeren Marienplatz gepostet, mit dem ironischen Unterton "München außer Rand und Band". Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer bei Borussia Dortmund, stichelte 2019 einmal "Wenn die Meisterfeier auf dem Marienplatz stattfindet, kommen 3000 Leute plus 1500 Touristen. Die gucken: 'Was ist denn da los, okay, da gehen wir mal vorbei'".
2017 ließ die Meisterfeier in der Allianz-Arena unter anderem den fehlenden Respekt am Gegner vermissen. Denn man ließ in der Halbzeit eine aufwändige Show für die Fans fahren. Als beide Mannschaften zum Anpfiff der zweiten Hälfte bereits bereitstanden, musste noch die Bühne von Anastacia abgebaut werden. Für die Münchner war die Meisterschaft bereits in trockenen Tüchern, aber für die Freiburger ging es noch um den Einzug in die Europa League und die minutenlange Wartezeit war dabei purer Psycho-Stress. Hintergrundinfo: Das Spiel, dass die Bayern zur Pause mit 1:0 führten, endete dann 4:1. Nach Abpfiff bejubelte der FCB mehr staatsmännisch kontrolliert als euphorisch und spontan seinen 27. Titelgewinn. Vieles wirkte aufgesetzt und wenig
authentisch. Die Weißbiergläser, deren Inhalt traditionell weniger getrunken sondern
mehr auf Mitspieler und Trainer geschüttet werden, waren bereits im Vorfeld mit
Go-Pro-Kameras versehen, um besonders schöne Bilder der Weißbier-Duschen auf dem Fanportal veröffentlichen zu können.
2018 hatten die Münchener das DFB-Pokalfinale verloren und waren darüber offenbar zurecht enttäuscht. Doch nachdem sie ihre Silbermedaille abholten (und viele diese noch auf dem Podest postwendend abfällig abnahmen - Sandro Wagner warf diese gar ins Publikum) verdrückten sie sich (fast) allesamt klammheimlich in die Kabine. Ein Affront gegen die guten Sitten, das Fair Play und vor allem gegenüber den Gegner Eintracht Frankfurt: Normal steht zunächst der Sieger dem Verlierer Spalier und applaudiert, danach umgekehrt. Einzige Ausnahme: Manuel Neuer stand noch da und erwies der Siegermannschaft seinen Respekt. Die spätere Meisterfeier betitelte man als eine der traurigsten.
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So sehen Meister (2018) aus, schalalala... |
2019 auch nicht besser: In den 2000er Jahren hat sich der FCB derart daran gewöhnt, Ende Mai auf dem Münchner Marienplatz einzukehren, dass sich das "Wir-rasten-mal-aus"-Programm aufs routinemäßige Schwenken der Pokale, das Intonieren der immer gleichen Lieder und die üblichen Floskeln beschränkt. Ansonsten: Gelangweilte Stars, die sich lieber mit ihrem Smartphone beschäftigen, ein paar Faxen von Thomas Müller, ein paar Worte von Niko Kovac, ein paar Tränen von Franck Ribéry... immerhin.
2020 war Feiern allgemein (aufgrund COVID-19) schwierig. Doch in München war nach dem Titelgewinn wirklich "tote Hose": Keine Gesänge auf den Straßen, keine Hupkonzerte oder Auto-Korso. Nichts, was sich trotz Pandemie realisieren ließe. Die Meisterschaft, ja selbst das "Double", schienen längst zur Gewohnheit geworden zu sein. Stattdessen blickte man eher nach vorne und hoffte auf das große Ziel, das "Triple", und sollte dies dann auch holen. Sogar mit einer Besonderheit: Erstmals hatte ein Verein ausnahmslos alle Spiele in einem Champions-League-Wettbewerb gewonnen. Und das auch noch im 100jährigen Vereinsjubiläum. Und? Erinnert sich irgendjemand an DIE Party des Jahrhunderts in München? Nein. Sicher nicht nur aufgrund Corona. Stell' Dir vor, Dein Lieblingsverein wird deutscher Meister, holt den DFB-Pokal und gewinnt (erstmals) ungeschlagen alle Champions-League-Spiele und das im 100-Jahr-Jubiläum...
...kannste Dir nicht ausdenken.
Im Folgejahr (2021) sprach man gar von der langweiligsten Meisterfeier überhaupt: Jerome Boateng verfolgte bei der Platzbegehung vor dem Abendspiel gegen Gladbach auf seinem Smartphone, wie Borussia Dortmund gerade den RB Leipzig schlägt und die Bayern damit ohne eigenes Zutun zum Meister macht. Derweil in München: Ein paar hupende Autos, vor dem Fernseher dürften sich viele Bayern-Fans ein (extra-)Bier aufgemacht haben, hier und da wurde sicher eine Bayern-Fahne gehisst oder aus dem Fenster gehängt. Seit dem 13. Spieltag haben die Bayern die Tabellenführung nicht abgegeben, seit April war klar, dass die Bayern im neunten Jahr in Folge Meister werden. Für die Fans der Münchner war diese Saison aber mit "nur" einem Titel fast schon eine Enttäuschung, für viele war die Spielzeit emotional beendet, als die Mannschaft im Viertelfinale der Champions League gegen Paris St. Germain ausschied.
Will man sich an die erste Meisterschaft des FC Bayern erinnern, muss man Wikipedia bemühen, denn Zeitzeugen wird es wohl kaum mehr geben: Im Finale am 12. Juni 1932 in Nürnberg war der Gegner, wie bereits im Finale um die süddeutsche Meisterschaft, Eintracht Frankfurt. Tausende Bayern-Fans machten sich auf den Weg, darunter etwa 400 Arbeitslose mit dem Fahrrad. Im Nachhinein übernahm der Verein die Kosten für diese Fans für Übernachtung und Eintrittskarten. Am Tage des Endspiels herrschten 30 Grad im Schatten und 55.000 Zuschauer sahen das Spiel im Stadion. Nach dem Abpfiff hielt der FC Bayern München, aufgrund eines 2:0-Erfolgs, zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte die "Victoria" in der Hand. Randfakt: Diese Trophäe war der Vorgänger der "Salatschüssel", welche seit 1949 überreicht wird, derweil man die Victoria im 2. Weltkrieg als vermisst glaubte (tauchte jedoch nach der Wiedervereinigung wieder auf). Zurück nach 1932: Zum ersten Mal wurde ein Verein aus München Deutscher Meister und die Mannschaft wurde begeistert in der Landeshauptstadt empfangen. Die Siegesfeier fand im Münchener Löwenbräukeller statt, die Spieler wurden auf Pferdekutschen zur Feier gebracht. In einer der Festreden hieß es, „was man schon im Vorjahr bei 1860 bestimmt gedacht, hat heuer FC Bayern fertig gebracht“.
Die deutsche Fußballmeisterschaft wird heute nur noch als "Trostpflaster" wahrgenommen. Und überhaupt: Zehn Mal in Folge nationaler Meister? Damit befindet sich der "FC Ruhmreich" auf Augenhöhe mit Vereinen wie
Sheriff Tiraspol, Dinamo Tiflis und dem FC Pjunik Jerewan aus Armenien -
aber doch noch weit hinter den Überfliegern Skonto Riga und dem Lincoln
Red Imps FC aus Gibraltars Eurobet Division. Diese Clubs haben jeweils 14 Mal in Folge triumphiert. Global betrachtet war da bislang
nur der Tafea F.C. aus Vanuata noch erfolgreicher, der die PVFA Premier
League 15 Mal in Serie gewinnen konnte. Okay, diese Vergleiche mögen ein wenig hinken - die ozeanische Fußball-Liga ist sicherlich nur bedingt mit der Bundesliga vergleichbar. ABER: Der FC Bayern München ist vielleicht außergewöhnlich, aber nicht rekordverdächtig - erst recht nicht, wenn es um das Feiern der eigenen Erfolge geht.
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