Wie oft haben wir das in der Vergangenheit bereits gelesen: "Unsere Städte sind Betonwüsten" und "Die Innenstädte sterben aus". Und es stimmt ja: Unsere Städte wurden zum Großteil (nach dem 2. Weltkrieg) mehr oder minder neu konzipiert. Und da das Auto in dieser Zeit für immer mehr Menschen bezahlbar wurde und dementsprechend an Bedeutung gewann, wurden Städte (vorrangig) für den Autoverkehr entwickelt und nicht für Menschen. Eine Illustration zeigt anschaulich, wie viel Platz im Gegensatz für Fußgänger zur Verfügung steht:
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Illustration: © Karl Jilg |
Und allzu oft hört man die Bedenken, dass der Einzelhandel beeinträchtigt wird, sobald es keine (ebenerdigen) Parkplätze vor der Geschäftstür gibt. Nun, ich denke, dass der Einzelhandel zum Teil andere (selbstgemachte) Probleme hat, als ausreichend Parkflächen.Warum Innenstädte mehr und mehr aussterben ist hier anschaulich beleuchtet. Sehr schön fand ich den Vergleich zwischen Kinderspiel-Romantik...
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Kinderspielteppich - gefunden auf Otto.de
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...und der Realität...
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Quelle: Google Maps
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Auch interessante Fragen: Warum hören Fahrradwege einfach auf? Warum ist Heroin verboten, aber 260 fahren erlaubt? Warum wachsen Bäume auf Fahrradwegen aber auf Autobahnen nicht?
Als ich endlich 18 wurde, war der "rosa Lappen" mein heißbegehrtes Ziel. Ich gehöre offenbar zu einer Generation, für die das Auto eine große Rolle spielte und ein gewisses Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit bedeutete. Und wir haben uns damals auch mal einfach ins Auto gesetzt und sind "sinnlos" damit herumgefahren - einfach weil wir es konnten. Gleichwohl, dies (unnützes Hin- und Herfahren) hierzulande eine Ordnungswidrigkeit nach § 30 Abs. 1 Satz 3 StVO darstellt.
Der Tatbestand ist erfüllt, wenn man ohne Notwendigkeit innerhalb einer
geschlossenen Ortschaft eine Strecke mehrmals abfährt und dadurch
andere belästigt werden. Vielleicht fühlte sich aber auch keiner wirklich belästigt. However...
Oft hört man, dass der "Jugend von heute" das Automobil nicht so wichtig sei. Die Generation Z - das sind Digital Natives, Sharing-Nutzer und
Umweltschützer. Zumindest werden die Menschen zwischen 16 und 25 Jahren
hierzulande so wahrgenommen. Eine Umfrage von mobile.de zeigt indes, dass
das eigene Auto und der Führerschein für sie nicht an Bedeutung
verloren hat. Drei von vier Deutschen zwischen 16 und 25 Jahren (76,1
Prozent) haben einen Pkw-Führerschein. Nur 4,8 Prozent der Befragten
gaben an, weder einen Führerschein zu besitzen noch in absehbarer Zeit
einen machen zu wollen.
Und wer ein Auto besitzt, fährt es auch: Am häufigsten bewegt sich die
jüngere Generation im Alltag mit dem eigenen Fahrzeug fort (63,6
Prozent). Danach folgen der ÖPNV (54,6 Prozent) und das Fahrrad (53,1
Prozent). Fast jeder Dritte (29,7 Prozent) greift alternativ auch auf
das Auto von Eltern, Freunden oder Bekannten zurück. Carsharing hingegen
steht nur bei 4,7 Prozent der 16- bis 25-Jährigen auf der Liste der
regelmäßig genutzten Verkehrsangebote und rangiert damit noch hinter
E-Rollern (6,7 Prozent).
Doch: Verkehr
ist nichts, was wir zum Spaß betreiben. Niemand steht freiwillig gerne
im Stau. Wir wollen eigentlich immer von A nach B. Mobilität ist also ein Mittel
zum Zweck: Die Angestellte will ins Büro, der Familienvater zum Einkauf,
die Kinder in die Schule, die Seniorin zum Arzt. Eine Verkehrswende geht folglich über Kosten und Nutzen, also Struktur (Einfachheit).
Große
Arbeitgeber errichten ihre Firmen in Städten - sei es aufgrund
notwendiger Logistik, Datenanbindung oder schlicht wegen der
potentiellen Kunden. Die arbeitende Bevölkerung folgte in die Städte.
Die Städte wuchsen, die Dörfer verkümmerten. Viele Städte/Strukturen
sind immer noch wie vor 60 Jahren angelegt: Damals konnten und wollten
sich immer mehr Menschen ein Auto leisten. Den Inbegriff von Mobilität
und Individualität. Dem Automobil wird nahezu der meiste Platz
eingeräumt. Das Problem: Die wenigsten Städte sind mitgewachsen. Ein
Golf 7 ist im Vergleich zum Golf 1 heute rund einen halben Meter länger
und eine Handbreit breiter. In vielen Innenstädten kommt man mit einem
VW Käfer problemlos in eine Parklücke - wenn man eine findet - aber mit
einem "Discovery" von fast fünf Meters Länge wird das zur Herausforderung. Überhaupt, was will man denn in den Städten "discovern"? SUV's in Innenstädten sind wie Flip-Flops beim Trekking in den Alpen. Und wenn man sich beispielsweise in den 70ern und heutzutage vor eine Schule gestellt hätte, man hätte zwei gänzlich andere Bilder bekommen - früher sind die Kinder in die Schule gegangen... ZU FUSS! ALLEINE! Heute bekommt man den Eindruck, in diesen Gebäuden werden ausschließlich Kinder von Förstern und Landwirten beschult. Diese Boliden fand man früher vorwiegend in Wald und Flur. Heute fährt Mutti damit anschließend zum Supermarkt und kauft einen Brühwürfel.
Ich schweife ab. Zurück zum Thema.
Anderes Problem: In den Städten, speziell in den Wohngebieten findet man immer mehr Lieferfahrzeuge. Corona
wirkte wie ein Katalysator, für das, was möglich ist:
Home-Office/-Schooling. Für den modernen Menschen besteht beinahe
keinerlei Veranlassung mehr, das Haus zu verlassen. ALLES kann geliefert
werden. Sogar Sprechstunden mit dem Arzt sind online möglich. Problem: Vieles bedarf einer schnellen/konstanten Internetleitung. Und die hätten wir eigentlich schon längst haben können. Die
sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt hatte bereits 1981 Pläne
für einen bundesweiten Glasfaserausbau beschlossen. Ein Jahr später kam
Helmut Kohl an die Macht, legte die Pläne aufs Eis und förderte im
Interesse seines Klüngel-Kumpans Leo Kirch lieber das Kabelfernsehen. 35
Jahre später gibt es immer noch kein flächendeckendes Glasfasernetz. Andere Baustelle.
Nebeneffekt
der Bestell-Gesellschaft: Würde man alle Pakete aneinanderlegen, die in
vier Tagen nur in Deutschland ausgeliefert werden, entstünde eine
Paketschlange vom Nord- bis zum Südpol. Seit 1995 hat sich die Anzahl
kleiner Güterfahrzeuge in den Innenstädten versiebenfacht. Und diese verstopfen die Innenstädte, insbesondere die Wohnbereiche umso mehr. Mögliche Lösung: Liefer-Hubs für alle Logistiker, nur noch ein Zusteller pro Bezirk. Aber dafür müssten sich natürlich erst einmal alle einig werden.
Interessamt ist, wie sich Verkehrsflächen und ihre Investitionen auf-/verteilen: Verkehrsflächen-Verteilung: Auto ca. 60%, Fußgänger 30%, ÖPNV 6%, Rad 4%
Ausgaben (Beispiel Kassel): 42,5 Mio. für Auto, 1,4 Mio. Rad
Einnahmen: ÖPNV rund 65%, Auto nur 38%
Zuschüsse pro Einwohner: 128€ Auto, 148€ ÖPNV, 38€ Fußgänger, 6€ Rad
Kosten
durch Luftverschmutzung, Klimaschäden, Lärm und Unfälle: €96 Mio./Jahr.
Verantwortlich dafür: 73 Auto, 5% ÖPNV, 4% Rad, 3% Fußgänger
Wie sähe eine mögliche Lösung aus? "Shared space" - alle Teilnehmer teilen sich den Platz, es gilt
gegenseitige Rücksichtnahme. Lebenswerte Innenstädte definieren sich durch weniger Lärm und
Schmutz, mehr Grün und Lebensqualität. Für das Auto könnte es bedeuten, dass es straßen- und zeitbezogene PKW-Maut/km geben könnte/müsste. Wer eine Straße befahren möchte, die viele nutzen oder zu einer Zeit wo viele andere dies tun, muss tiefer in die Tasche greifen, als wenn man eine andere Strecke wählt oder seine Fahrt zu einer anderen Zeit planen kann.
Denn machen wir uns nichts vor, verzichtbar ist das Auto nicht. Das sehen wir bei einem Preisvergleich für die Strecke, wenn ich als Beispiel zu unserer Niederlassung in Köln reisen müsste:
Bahn: rund 40€, Dauer rund 3h (von LA-Bahnhof bis Köln Frankfurter Str.)
Flixbus: rund 25€, Dauer rund 6h - Problem: nur ab Hannover Hbf und dann entweder nur bis Leverkusen oder Köln-Flughafen
Flixtrain: rund 20€, Dauer etwa 3h
CNG-Caddy: rund 20€, Dauer ca. 3h - über Mitfahrgelegenheit wären sogar Einnahmen von rund 40€ möglich; CO2-Menge: 0.087 t - Kompensation (myclimate.org): 2€
Der Schienenverkehr bedarf schlicht mehr Investitionen, mehr Instandhaltung und einer anderen Kultur der Nutzer_innen.
Aber schweifen wir nicht in die Ferne - sagen wir, ich würde (zur Abwechslung mit unserem Hund) meine Eltern in Springe besuchen wollen. Fahrt mit dem ÖPNV von Langenhagen nach Springe:
Drei-Zonen-Ticket
4,80€, Hund 1,30€ (Einzelkarte Kind); Dauer 1h Fahrt + ca. 45 Min.
Fußweg.
Dauer e-Up: ca. 50 Min., Kosten rund 2,50€ (16,7kWh/100 = 7,5kWh
f. 45km; kWh 0,30€)
Möchte ich mir den langen Fußweg erleichtern und das Fahrrad mitnehmen, wird es kompliziert (Zitat aus den Beförderungsbedingungen):
Fahrräder können in den Zonen ABC montags bis freitags ab 08:30 Uhr bis
15:00 Uhr und ab 19:00 Uhr bis 06:30 Uhr des Folgetages sowie ganztags
an Samstagen, Sonn- und Feiertagen mitgenommen werden. Die
Fahrradmitnahme ist bei der regiobus, der SVG, im sprinti und der ÜSTRA
außerhalb dieser Zeiten nicht zugelassen. In den Zügen der
Eisenbahnverkehrsunternehmen kann ein Fahrrad außerhalb der kostenfreien
Mitnahmezeiten befördert werden, wenn eine gültige Einzel-,
6er-Einzel-, Tages- oder 6er-Tageskarte für eine Tarifzone oder eine
zusätzliche Monatskarte für Zone B oder C vorhanden ist – unabhängig
von der oder den befahrenen Tarifzonen. Ah ja...
Wie könnte man den ÖPNV attraktiver machen? Das Deutschland-Ticket für 49 Euro ist ein guter Ansatz. Das erste 365-Euro-Ticket wurde am 1. Mai 2012 in Wien eingeführt. Es führte in den ersten fünf Jahren zu einer Verdoppelung der verkauften Jahreskarten. Im Nahverkehr Reutlingens wurde der Preis eines Jahrestickets von zuletzt 524,20 Euro im Jahr 2019 auf 365 Euro gesenkt. Und das kann sich durchaus rentieren: Verkauft der Verbund angenommen 1.000 Tickets zu €524,20 sind das €524.200 Einnahmen. Verkauft man die doppelte Menge (2.000) für den €365-Preis, erwirtschaftet man Einnahmen i.H.v. €730.000.
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Grafik: Die Stadtgestalter
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Wo Menschen leben, wollen sie...
- wohnen
- arbeiten
- sich versorgen
- sich bilden
- ärztlich versorgen
- entfalten/erholen
Wenn wir alle binnen 15 Minuten alles erreichen könnten, was wir zum Leben brauchen, würden sicherlich viele überlegen, wie sie dorthin gelangen. Denn solch eine Strecke ist beispielsweise mit dem Fahrrad sehr viel schneller zurückzulegen, als mit dem Auto.
Und grundsätzlich müssen wir Städte insbesondere im Sommer kühler bekommen, damit das Leben in der Stadt lebenswert bzw. überhaupt noch möglich ist. Am besten durch Architektur und Begrünung.
Und schlussendlich ist es doch viel besser, in so einer Stadt zu leben...
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Screenshot "Ist es möglich, unsere Städte für ein besseres Leben neu zu gestalten (DW Doku)" |
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...als in so einer...
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Screenshot "Ist es möglich, unsere Städte für ein besseres Leben neu zu gestalten (DW Doku)" |
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