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Allemagne zero points - Germany no points!

Es gibt also immer noch Konstanten im Leben, auf die man sich verlassen kann... ich hatte es im letzten Beitrag bereits erwähnt: Der Mai steht traditionell dafür, dass sich die halbe Welt mit Spargel zuschüttet, als gäbe es kein Morgen mehr, der FC Bayern wird vorzeitig Deutscher Fußballmeister wird und Deutschland verkackt beim ESC. Nun, mit der Meisterschaft müssen wir doch noch warten, bis der BVB patzt. Aber ansonsten... Jan Böhmermann hat es bereits im Vorfeld geahnt. Germany - no points, naja beinahe - hat nicht viel gefehlt. Und dabei war es doch dieses Mal so verheißungsvoll: Mit "Lord Of The Lost" trat ein gänzlich unkonventioneller Beitrag als sonst an - eine Dark-Rock-Band und nicht der typische Radio-Einheits-Pop. Erinnerungen an 2006 wurden wach, als die Hard-Rock-/Heavy Metal-Band Lordi für Finnland den ESC gewann. Tja, das war aber vor 17 Jahren - da war das noch ein Highlight, im sonst noch sehr braven, biederen ESC.

Leider die Regel, anstatt die Ausnahme...

 "Lord Of The Lost", die relativ junge Band (2007 gegründet), wurden mit 40% der Zuschauerstimmen beim Vorentscheid gewählt, hat mit dem deutschen Beitrag einen Nummer 1-Hit in den hiesigen Charts, sind Support-Act bei der Tour von Iron Maiden und haben durchaus auch im Ausland einige Anhänger. Sie sind musikgeschmacklich sicherlich nicht für die breite Masse (wollen das sicherlich auch gar nicht sein), was sich dann auch deutlich beim Jury-Voting zeigte: Zwei Punkte aus Island und einer aus Tschechien. Dazu kamen dann noch 15 Punkte aus dem Televoting - vier aus der Schweiz, fünf aus Finnland, sechs aus Österreich - lediglich UK mit seiner sehr seichten Pop-Nummer (9) und Spanien (5) mit dem eher folkloristischen Beitrag bekamen hier noch weniger. Allerdings schnitten sie bei den Jurys besser ab (UK 15, Spanien sogar 95 Punkte). Ja, Finnland und Island stehen auf diesen Musikstil, aber im Rest von Europa (und Australien) fand man beispielsweise die schräge Darbietung von Kroatien im Schiesser-Feinripp ansprechender (Platz 13 mit 123 Punkten). Wäre Ikke Hüftgold da vielleicht doch die bessere Wahl gewesen? Ich weiß es einfach nicht.

Mit wenigen Lichtblicken, belegt Deutschland mit schöner Regelmäßigkeit die letzten bzw. den letzten Platz: Nachdem Guildo Horn 1998 und Stefan Raab 2000 dem angestaubten Wettbewerb einen frischen Anstrich verpasste, gab es praktisch immer nur Sekt oder halt Selters. 

  • 2002: Corinna May mit "I Can't Live Without Music" Platz 21 von 24. 
  • 2005: Gracia "Rund & Hide" 24/24. 
  • 2006: Texas Lightning "No No Never" 15/24
  • 2007: Roger Cicero "Frauen regier'n die Welt" 19/24 
  • 2008: No Angels "Disappear" 23/25
  • 2009: Alex Swings Oscar Sings "Miss Kiss Kiss Bang" 20/25
  • 2013: Cascada "Glorius" 21/26
  • 2014: Elaiza "Is It Right" 18/26
  • 2015: Ann Sophie "Black Smoke" 27/27
  • 2016: Jamie-Lee "Ghost" 26/26
  • 2017: Levina "Perfect Life" 25/26
  • 2019: Sisters "Sister" 25/26
  • 2021: Jendrik "I Don't Feel Hate" 25/26
  • 2022: Malik Harris "Rockstars" 25/25
Quelle: Wikipedia

Ja, es gab im Grunde wirklich nur 2010 mit Lena's "Satellite" (Platz 1) und 2018 mit MIchael Schulte's "You Let Me Walk Alone" (Platz 4) zwei Lichtblicke in knapp einem Vierteljahrhundert deutscher ESC-Geschichte. An den Rest erinnert sich kaum jemand oder es war schlicht zum Vergessen - ganz besonders manche Bühnenperformance bzw. -outfits...
2021: Jendrik "I Don't Feel Hate" - vorletzter Platz
 

Nach dem jüngsten, erneut schlechten Abschneiden werden sicherlich wieder Rufe laut, das Ganze einfach sein zu lassen. Deutschland gehört ja neben dem UK, Spanien, Frankreich und Italien zu den "Big 5", also den größten Geldgebern für dieses Großereignis und haben damit einen Platz im Finale stets sicher, müssen sich also nicht wie der Rest Europas (und Australien) in einem Halbfinale qualifizieren. Diese Regelung geht auf das Jahr 1996 zurück: Der deutsche Beitrag "Planet of the Blue" von Schlagersänger Leon schaffte es damals nicht, sich für das Finale zu qualifizieren. Die ARD weigerte sich daraufhin, das Finale des Wettbewerbs zu übertragen und verbannte es in das dritte Programm des NDR. Das wiederum sorgte für eine Beschwerde des norwegischen Senders NRK, denn die eingeworbenen Sponsoren hatten sich über das Fehlen der erheblichen Anzahl deutscher Zuschauer beklagt.Das norwegische Fernsehen stellte also die Forderung auf, die "Big Five" für das Finale vorzuqualifizieren, um das große Zuschauerpotenzial der Länder voll auszunutzen.

Und natürlich hört man immer etwas von "Nachbarschafts-Klüngelei": Griechenland gibt Zypern zwölf Punkte, San Marino stets Italien, Norwegen Schweden, Schweden Finnland und Finnland wiederum Norwegen. Ganz ausgeschlossen ist das Verhalten nie und sogar statistisch bewiesen: Seitdem die Zwölf-Punkte-Regelung 1975 eingeführt wurde, geben Teilnehmerländer ihren direkten Nachbarn mehr Punkte als Ländern ohne gemeinsame Grenze: Nachbarn bekamen im Schnitt 4,3 Punkte, andere nur 2,4 Punkte. Doch ungewöhnlich ist das nicht zwingend - kulturelle Vorlieben bestehen nunmal in gewissen Regionen. Und ob man es glaubt oder nicht: Sogar zwischen Deutschland und Österreich gibt es das offenbar. Daran kann es also nicht wirklich liegen. Ist es dann tatsächlich dieser Sonderstatus der "Big 5", woran sich der Rest Europas stört bzw. stören könnte? Denn immerhin landeten auch das UK (Platz 25) sowie Spanien (Platz 17) und Frankreich (Platz 16) auf hinteren Rängen. Lediglich Italien reißt aus diesem Muster mit seinem vierten Platz aus und erreichte seit 2017 durchgängig einen Platz in den TOP6, gewann 2021 mit der Rockband Måneskin sogar.

Könnten wir also sagen, komm' lass den Mist, wir treten aus den "Big 5" aus, qualifizieren uns wie alle anderen auch? Haben uns dann wieder alle (ein bisschen mehr) lieb? Immerhin lagen die ESC-Startgebühren für Deutschland (2017) bei rund 380.000 Euro und dieses Jahr sogar bei 473.000 Euro! Hier kommt jedoch ein ganz wichtiger Aspekt, fernab vom Musikalischen, in den Vordergrund: Der wirtschaftliche! Diese Kosten liegen deutlich unter den durchschnittlichen Produktionskosten von Unterhaltungsshows im Hauptabend. Der Gegenwert ist hoch, er besteht aus der Übertragung des ESC-Finales und der beiden Halbfinale - insgesamt rund acht Stunden Fernsehen. Der NDR - Hauptverantwortlicher für den ESC in Deutschland - täte aus wirtschaftlichen Gründen nicht gut daran, "aus dem ESC auszutreten". Zum Vergleich: Ein einziger Tatort schlägt mit rund 1,5 Mio. Euro Produktionskosten zu Buche.

Man könnte vielleicht auch meinen, man möchte keinen qualitativ guten Beitrag, der das Zeug haben könnte zu gewinnen, dorthin schicken. Der Grund: Den ESC auszurichten ist verdammt teuer. 2011 kostete der ESC in Düsseldorf den Gebührenzahler rund 12 Mio. Euro. Die BBC rechnet dieses Jahr in Liverpool mit ähnlichen Kosten. Allerdings: Die Wirtschaft vor Ort wird durch den ESC voraussichtlich um etwa 34 Millionen zulegen, so rechnet man.

Was können wir dann tun? Uns zumindest den ganzen Käse eines Vorentscheids sparen? Es ist ja offenbar egal, was wir zum Wettbewerb schicken - unterschiedlicher hätten die Beiträge in den letzten Jahren kaum sein können. Gut, das Meiste war radiotauglicher Pop, der keinem weh tut. Aber ansonsten ist es auch egal, ob man Newcomer oder bekannte Gesichter hinschickt, egal ob Englisch oder Deutsch gesungen wird, langsame oder schnelle Nummern, tiefgründige Texte oder Slapstick auf der Bühne. Liegt es an den Verantwortlichen? Seinerzeit als Stefan Raab maßgeblich beteiligt war, waren die Beiträge allesamt erfolgreich: Guildo Horn (Platz 7), Raab himself (5), Max Mutzke (8), Lena Meyer-Landrut (1). Aber dass Raab zurück ins Showgeschäft geht, das wird er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht antun.

Gibt es ein "Patenrezept" für den Sieg beim ESC? Auch nicht wirklich, selbst wenn sich Måns Zelmerlöw und Comedian Petra Mede beim schwedischen ESC 2016 daran versucht haben. Zu unterschiedlich waren die Gewinner-Beiträge in den Vorjahren (mal im Ernst - Loreen, die schon 2012 mit einer merkwürdigen Performance Siegerin wurde, als sie wie ein Waldschrat über die Bühne hin und her huschte? Naja...) und manchmal war's halt auch schlicht politisch (Sieg der Urkaine 2022, 2018 Sieg für Netta aus Isreal, Sieg Conchita Wurst 2014,...).

Ich hätte einen Vorschlag: Vergesst den ganzen Jury-Quatsch im Vorfeld - das bildet kein wirkliches Stimmungsbild ab. Es braucht auch keine "Experten", die meist eh nur schauen, was sich gut vermarkten, sprich im Radio spielen lässt. Randfakt: Armeniens Beitrag von Rosa Linn landete 2022 nur auf dem 20. Platz, erreichte aber binnen eines Jahres in über einem Dutzend Ländern Top-Platzierungen in den Charts, erheilt Platin und wurde zum meist-gestreamten Hit bei Spotify. Nicht alles, was beim ESC gewinnt, findet bei der breiten Masse Anklang und umgekehrt ebenso.

Lobt also einfach einen Wettbewerb bei Youtube, TikTok, was-auch-immer aus, schaut, was am meisten Zuspruch erfährt (Klicks) und schickt das Ding zum nächsten ESC. Spart jede Menge Geld, Aufwand und am Ende kann es auch nicht schlimmer werden als bislang - auch wenn dann halt so etwas wie Ikke Hüftgold Deutschland vertritt. Mir egal.

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