Vorweg: Vom Titel sollen sich selbstverständlich auch die Damen angesprochen fühlen. Hätte ich das jedoch ordnungsgemäß gegendert, wäre der Titel entschieden zu lang.
Jedenfalls geht es heute um ein spezielles Völkchen... die Bayerinnen und Bayern. Und dass diese seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zu den "obern Deutschen", also gemeinhin dem Rest oberhalb des Weißwurstäquators, insbesondere zu den (damaligen) Preußen haben. Schon damals waren sich Preußen und Bayern spinnefeind (Ausdruck "Saupreiß"). Vermutlich aus dieser Historie heraus haben die Bayern immer gerne ihr eigenes Süppchen gekocht:
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Haben Bayern und Österreicher mehr gemeinsam als Bayern und Deutsche? - Bild: Bayerische Wikipedia |
Sie tragen (neben Thüringen und Sachsen) den Zusatz "Freistaat", bzw. reden gerne ganz selbstverständlich von sich selbst, wenn sie "Wir im Freistaat..." sagen. Dabei hat der Titel heute keinerlei "Funktion" bzw. sonderrechtliche Bedeutung. Es findet jedoch munter Anwendung wie beispielsweise "Lutherstadt Wittenberg" oder seinerzeit "Bahnchef Mehdorn" - das eine Wort kann/konnte nicht ohne das andere stehen/gesagt werden.
Bekanntermaßen leistet sich das Bundesland am Alpenrand eine eigene Partei, bzw. einen CDU-Abklatsch: Die Christlich Soziale Union, kurz CSU. Die CSU und ihre Schwesterpartei, die Christlich Demokratische Union (CDU), werden als Unionsparteien oder kurz Union bezeichnet. Die CDU tritt nicht in Bayern an, die CSU verzichtet auf Wahlteilnahmen im übrigen Deutschland. Mehr noch: Die Geschichte der CSU auf Bundesebene ist geprägt von ihrem Bestreben nach Selbstständigkeit im Rahmen der Unionsparteien. Bereits in den ersten Nachkriegsjahren wurde deutlich, dass die bayerische Unionspartei sich nicht in eine deutschlandweite Organisationsstruktur einfügen wollte und eine starke Rolle auch über Bayern hinaus beanspruchte. Alle anderen Parteien machen diesen Mumpitz nicht mit.
Apropos Politik: Der bayerische Ministerpräsident leistet sich derzeit mehr als nur einen, ich nenne es mal vorsichtig "Fauxpas", welche einen immer mehr zu der Frage verleiten lassen "Können wir dieses Bundesland bitte einfach mehrheitlich ausschließen?". Ein Auszug:
- Vor Kurzem echauffierte sich Markus S. über die angebliche Cancel Culture in einer Hamburger Kita, wodurch aufgebrachte Nazis die Erzieher_innen bedrohten. Nur mal zum drüber nachdenken: In Bayern fehlen 70.000 KiTa-Plätze
und M. Söder regt sich wegen eines Tannenbaums einer Hamburger KiTa
auf! Funfact: Hamburger KiTas stellen mehr Weihnachtsbäume auf, als
Bayern im gesamten Jahr Windräder.
- Zudem möchte er armutsbetroffenen Kindern das Bürgergeld und Kindergeld streichen (15 Bundesländer sind für eine Kindergrundsicherung, nur Bayern nicht), treibt sie dadurch mehr und mehr zu den Tafeln, Jugendliche sollen in Bayern in den Knast, aber dann spielt sich der werte Herr als Kinderfreund auf, weil er bei "Ein Herz für Kinder" am Spendentelefon sitzt.
- Und mal ernsthaft: Der Ministerpräsident des Bundeslandes, welches zudem mit Wintersport in Verbindung gebracht wird wie kein zweites, in dem aber der öffentliche Nahverkehr zusammenbricht sobald etwas Schnee fällt, der träumt ernsthaft von einem Weltraumbahnhof?
- Und dann noch das Lieblings-Aufreger-Thema: 2021 sagte Söder noch "Es geht nicht, dass Sprache am Ende verordnet wird. Es kann nicht sein, dass wir eine Art Gendergesetz oder Genderstrafzettel bekommen.". Nur zwei Jahre später kündigt er ein Gender-Verbot für Bayerns Schulen und Behörden an. Keine Pointe! Macht mal aus Spaß folgenden Feldversuch: Fragt heterosexuelle Konservative nach deren Partner. Vermutlich wird man schnell belehrt, dass man eine PartnerIN habe - da ist das Gendern dann auf einmal sehr wichtig ;-). Nochmal für alle: NIEMAND "verordnet" Sprache, ebensowenig wie Veganismus "angeordnet" wird. Kann man beides machen, muss man aber nicht.
Halten wir fest: Die Bayern (und dieser Spezielle ganz besonders) sind schon ein Völkchen für sich.
Zurück zum Thema: Auch medial scheint Bayern nahezu omnipräsent: Man erinnert sich vielleicht noch an 80er-Serien wie "Monaco-Franze", "Kir Royal" oder natürlich "Meister Eder und sein Pumuckl", kaum eine Sendung kam z.B. ohne die Zwiebeltürme der Frauenkirche oder ähnliche Münchner Wahrzeichen aus. Seien es die "Rosenheim-Cops", "Der Bulle von Tölz", "Huber und Staller" sowie "Huber ohne Staller" (watt bekloppt!), "Watzmann ermittelt", "Forsthaus Falkenau", oder die diversen "Arzt-Serien" Seifenopern mit homöopathisch medizinischem Touch, die vor heimeliger Alpen-Kulisse verfilmt worden sind (sei es der "Bergdoktor" oder ganz aktuell "Die Landarztpraxis" ) - zig Serien, in denen der Berg ruft, kitschig der Alpensee glitzert und (partiell) auf gar keinen Fall der Dialekt fehlen darf. Und vom FC Bayern München fang ich gar nicht erst an.
Weitere Sonderrolle: Das Rote Kreuz. In ganz Deutschland kommt, wenn man beispielsweise den Notruf wählt, u.a. das Deutsche Rote Kreuz (DRK) - oder eben ein anderer Dienst, wie Johanniter, ASB, etc.. In ganz Deutschland? Nein. In einem von unbeugsamen Einwohner_innen bewohntem Bundesland gibt es nicht das Deutsche Rote Kreuz, sondern das Bayerische Rote Kreuz.
Und auch schon damals, als die junge Bundesrepublik sich ein Grundgesetz gegeben hat... wer hat dagegen gestimmt? Natürlich. Bayern. In den folgenden Jahren hat sich der Freistaat (!) mit der anfänglich so ungeliebten Verfassung arrangiert. Bis heute jedoch versteht sich Bayern als kämpferischer Verteidiger der föderalen Eigenständigkeit der Länder – ob es "den Preußen" nun paßt oder nicht.
Und was hat der bayerische Rundfunk nicht schon alles in den Giftschrank gepackt bzw. ist vom Sender gegangen, als der Rest der ARD kontroverse Sendungen über die Flimmerkiste oder den Äther geschickt hat. Da war ein Lied "zu anstößig" oder eine Kabarett-Sendung "zu scharfzüngig".
Ich selbst war Mitte der 1990er einmal zu Gast in München, mit einem Abstecher in das Kloster Andechs und auch einem Oktoberfest-Besuch... es war, wie auch meine einmalige Stippvisite beim Karneval in Köln und Düsseldorf: NICHT - MEINE - WELT! Noch heute streuben sich mir die Nackenhaare, wenn beispielsweise Norddeutsche sich in Lederhosen und Dirndl zwängen, um gesellig Oktoberfest zu feiern. Ist das eigentlich auch schon "kulturelle Aneignung"? Die Bayern werfen sich doch auch nicht in Matrosenanzüge, wenn sie die Kieler Woche besuchen oder in Förster-ähnliche Uniformen beim Besuch eines hiesigen Schützenfestes! Mal abgesehen davon, dass das Dirndl übrigens keine "bayerische Erfindung" ist. Kategorie "unnützes Wissen": Ab etwa 1870/80 setzte sich das Dirndlkleid in der Oberschicht des "städtischen Sommerfrischepublikums" als typisch „ländliches“ Kleid durch. Maßgeblich beteiligt waren daran die jüdischen Brüder Moritz und Julius Wallach aus Geseke bzw. Bielefeld, die 1900 in München das Trachtenhaus Wallach gründeten. Der Durchbruch erfolgte 1910, als die Brüder Wallach zum 100-jährigen Jubiläum des Oktoberfests kostenlos den Landestrachtenzug ausstatteten. Aber das ist ein anderes Thema.
Immer wieder hört man, dass die Bayern mit den Österreichern mehr gemein haben, als mit dem Rest Deutschlands. In der bayerischen Wikipedia (ja, auch die gibt es separat) existieren Vorschläge für eine gemeinsame Flagge (s. Titelbild). Dass Bayern und Österreich einmal zusammengehört haben, weiß heute kaum noch jemand. Bayern reichte seinerzeit von Eger (Tschechien) bis zur Salurner Klause (zwischen Tirol und Trentino) kurz vor dem Gardasee, von der pannonischen Tiefebene (Ungarn) bis zum Lech. Da verwundert es nur mäßig über diverse Parallelen in Lebensstil, Sprache und Mentalität sowie Ähnlichkeiten in Kunst und Architektur zu beiden Seiten des Inns.
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Bayern um 788 n. Chr. (zur Orientierung: Links, am Bildrand, der Bodensee) - Quelle: Wikipedia |
Jetzt wird es historisch: Das alte Bayern ist etwa 500 Jahre nach Christus auf dem Gebiet der ehemals römischen Provinzen Raetien (nördl. Alpenvorland zwischen Schwarzwald, Donau und Inn) und Norikum (Großteil des Gebietes des heutigen Österreich sowie angrenzender Gebiete Bayerns östlich des Inn und Sloweniens) entstanden. Im Jahr 996 nach Christus ist erstmals die Rede von "Austarichi", von Ostreichern, also Menschen, die den Osten dieses alten bayerischen Reiches bewohnten. Dann gab es einen Prozess bis ins hohe Mittelalter, wo lokale und regionale Herrschaftsträger sowie Grafenfamilien ihre Macht erweitern, ihre Herrschaft zunehmend verselbständigen und damit ein eigenes politisches Gewicht bekamen. Und es gibt (auch heute) tatsächlich nicht wenige Bayern, die darunter leiden, dass Bismarck schlussendlich ihr Land 1871 ins Deutsche Reich gezwungen hat, womit die Grenze zum weiterhin selbständigen Österreich zementiert wurde.
Trotz der Grenze am Inn – die Donau verbindet. Und die Kultur hat sich sowieso nie um Grenzen geschert: Wiener_innen und Münchner_innen beispielsweise feiern keinen Karneval, sondern Fasching. Und der ist nicht bunt sondern schwarz-weiß und findet im Saal statt, nicht auf der Straße. Und was dem Wiener sein Opern-, das ist dem Münchner der Kaiserball. Das zunächst mächtige Bayern und sein kleines Ostreich entwickelten sich aber wie gesagt damals auseinander. Bildlich gesprochen begann der österreichische Schwanz mit dem bayerischen Hund zu wackeln: Österreich entwickelte sich zu einem gewissen Weltreich (von den östlichsten Karpaten bis zu den Zentralalpen) und überflügelte Bayern.
Die Bayern fanden sich wie erwähnt 1871 im deutschen Reich wieder und mussten sich gegenüber den protestantischen Preußen im Norden behaupten. Sie taten das, indem sie die Andersartigkeit ihrer katholisch-südlichen Kultur betonten und mit Dirndlmieder, Gamsbart und Lederhose nach außen trugen. Noch heute aber ist für einen rechten Bayern Wien die eigentliche "Hauptstadt des Herzens", während er den bundesdeutschen Hauptstadt-Hype rund um Berlin mit Argwohn betrachtet. Einen ausführlichen Artikel über die "Brüder im Süden" gibt es hier.
Spinnen wir doch mal eine Utopie: Bayern sagt sich von Deutschland los und schließt sich angesichts so vieler Gemeinsamkeiten mit Österreich zusammen. Denkbar wäre in diesem Szenario, dass die Franken dort nicht mitmachen (wollen) und die Gelegenheit nutzen und sich von Bayern trennen - die Rivalität zwischen Franken und Bayern ist untrennbar mit einem französischen Kaiser verknüpft: Napoleon Bonaparte sprach Franken im 19. Jahrhundert Bayern zu und bis heute existieren politische, kulturelle und wirtschaftliche Unterschiede zwischen Franken und Bayern. Da gibt es schon Bestrebungen nach einem eigenen Bundesland. Die Parole lautet hier durchaus provokativ "Frei statt Bayern". Es gibt auch eine Franken-Partei... insofern.
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Quelle: http://www.bayern-wolln-mer.net |
Nehmen wir also an, die Franken (Ober-, MIttel- und Unterfranken) gründen ihr eigenes Bundesland (auch Schottland sinniert - erneut - über die Trennung von Großbritannien bzw. über ihre Eigenständigkeit und für ihren Verbleib, respektive Wiedereintritt in die EU) und votieren für den Verbleib in der Bundesrepublik. Dann blieben die Oberpfalz, Schwaben, Nieder- und Oberbayern, welche sich u.a. zu Tirol, der Steiermark und dem Burgenland gesellen:
Österreich mit bislang rund 9 Millionen Einwohner_innen und rund einer Fläche von knapp 84.000 km² würde sich um rund 47.538 km² und über 9,15 Millionen Einwohner vergößern. Der neue Staat (ich würde mich wie ein kleines Kind an Weihnachten auf die Verhandlungen bei der Namensgebung freuen) wäre somit flächenmäßig größer als Nicaragua und fast so groß wie Griechenland. Einwohner hätte man etwa so viele wie Ecuador oder Rumänien. Das nominale Bruttoinlandsprodukt Österreichs würde sich von etwa 440 Milliarden Euro schlagartig mehr als verdoppeln: Bayern (ohne Franken) trägt rund 553 Milliarden bei.
Der Postillion hat dies ebenfalls schon humorvoll auf die Schippe genommen: Der FC Bayern München müsste dann für die österreichische Bundesliga planen und die Allianz Arena auf ein Fassungsvermögen von 8.000 Zuschauern zurückbauen und wichtige Spieler vom neuen Hauptkonkurrenten Red Bull Salzburg wegkaufen. Zumindest wäre die deutsche Bundesliga eindeutig spannender.
Weniger humoristisch, mehr faktisch: Die CDU würde - gemessen am Bundestagswahlergebnis 2021 - 5,2% weniger Stimmenanteile bekommen. Gut, die anderen Parteien würden auch gewisse Einschnitte hinnehmen müssen, aber nicht so drastisch wie die CDU, da die bayerische Bevölkerung nun mal eben stark/überwiegend konservativ CSU wählt.
By the way: Vor rund 100 Jahren ist ein Österreicher über München nach Deutschland gekommen... lassen wir das. Was wäre noch? Niedersachsen wäre dann flächenmäßig größtes Bundesland, der Feldberg (1.493m) in Baden-Würtemberg löst die Zugspitze als höchste Erhebung Deutschlands ab und Österreich hätte endlich eine eigene Autoproduktion. Nach Deutschland müssten Fahrzeuge von BMW dann in gewisser Weise "importiert" werden, obwohl hier sicherlich die EU einiges vereinfacht. Und ein Besuch des Oktoberfestes - wenn man das möchte - wäre dann eine Auslandsreise... obwohl gefühlt, ist es das heute auch.
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