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Oooohhh Fronkreisch...

Frankreich hat seine Wahl getroffen. Zunächst bei der Europawahl, wo das rechtsnationale Bündnis von Marine Le Pen stärkste Kraft wurde. Als Reaktion rief Frankreichs Präsident Macron Neuwahlen aus. Beim Poker würde man sagen, man geht "all in". Er wollte mehr oder minder die Französinnen und Franzosen auf die Probe stellen, ob sie nicht nur für Europa sondern auch für das eigene Land eine rechtsnationale Regierung wollen. Diese Neuwahlen fanden nun statt und - oh Wunder - beinahe mit demselben Ergebnis: Das Rassemblement National (RN) holte knapp ein Drittel der Stimmen und in der Stichwahl könnte es sich, nach dem Prinzip "the winner takes it all", die absolute Mehrheit sichern. Insgesamt haben gut neun Millionen Menschen für den RN gestimmt. Das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron landete mit etwa 22% auf Platz drei hinter dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire mit rund 29%.


Die Empörung ist groß, das Volk geht auf die Barrikaden, die Republik stünde in Flammen. Die Wahlbeteiligung lag den Instituten zufolge bei etwa 66%, also 2/3. Das sind rund 20 Prozentpunkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt bei der vorangegangenen Parlamentswahl vor zwei Jahren. Es ist also nicht so, wie bei der Frage, ob in Paris die E-Scooter abgeschafft werden sollten (89% stimmten für die Abschaffung der Mietroller - allerdings beteiligten sich nur 7,46% der rund 1,3 Millionen in die Wählerlisten eingetragenen Einwohner an der Abstimmung). Insofern also schon ein anderes Bild. Dennoch scheint ein Großteil überrascht vom Ausgang dieser vorgezogenen Wahl, will es nicht wahrhaben, dass die Republik nun auch nach rechts rücken soll. "La Grande Nation" blickt sorgenvoll in die Zukunft. Doch wie ist es dazu gekommen? Ein Beispiel:

Nicht nur in Städten mit so klangvollen Namen wie Tourville-sur-Arques Sauquville, Crégy-lès-Meaux oder Sainte Croix en Plaine... Städtenamen in Frankreich klingen immer ein bisschen wie ein Film- oder Buchtitel irgendeines Kitschromans. Montargis, 15.000 Menschen, anderthalb Autostunden südlich von Paris gelegen, ist eine jener gesichtslosen Kleinstädte Frankreichs, die dahinsiechen: Betriebe schließen, die Ärzte ziehen weg, Läden machen Konkurs. Einfamilienhäuser sind für weniger als 100.000 Euro zu haben. In der Nacht auf den 1. Juli 2023 brach die Gewalt wie ein Blitzschlag über Montargis herein. Jugendliche aus dem Einwandererviertel im Norden fielen ins Zentrum ein und verwüsteten es stundenlang, systematisch. Wie in ganz Frankreich reagierten sie auf den Tod des von einem Polizisten bei einer Kontrolle erschossenen Autofahrers Nahel in Paris. Am Tag danach war der Spuk in Montargis wieder vorbei. Einzelne Geschäfte der Einkaufsstraße Rue Dorée bleiben aber noch heute von Holzbrettern abgedeckt. An der Stelle der abgebrannten Apotheke klafft eine Baulücke. Eine Passantin erzählt, sie habe am Morgen danach gesehen, wie der Apotheker verloren in den rauchenden Trümmern stand und geweint habe. Inzwischen habe er Montargis verlassen, wie auch der Schokoladeverkäufer und der Schuhmacher. Der Coiffeur im Stadtzentrum hält noch die Stellung. Die Besitzerin Mireille erzählt, wie die „jeunes“ – ein Synonym für die migrantische Jugend – das Schaufenster ihres Geschäftes mit einem Auto gerammt hätten, um dann einen Molotow-Cocktail ins Innere zu schmeißen. Ihr Laden ist inzwischen renoviert. Und „RN-Territorium“, wie Mireille freimütig bekennt. Mireilles junger Kunde auf dem Frisiersessel schaltet sich ein: „Wir, die Franzosen, die Weißen, schlagen nicht alles kurz und klein. Wo es Probleme gibt, sind doch immer Araber dabei.“ Er hebt einen Zeigefinger, an dem Farbe klebt: „Und das ist jetzt nicht rassistisch.“ Eine wartende weißhaarige Frau pflichtet ihm bei: „Natürlich nicht!". Vermutlich sind solche Geschichten der Grund für den Erfolg der Rechtsnationalen.

Was am Rande bedacht werden sollte: Der Anteil ausländischer Staatsangehöriger an der Gesamtbevölkerung beträgt in Frankreich etwas über 8%. In Deutschland sind es übrigens knapp über 11%, in Österreich rund 15, in der Schweiz rund 25% - Top-Wert: Luxemburg, wo es sich fast 50/50 verhält.

In einem besorgniserregenden Appell nach den französischen Parlamentswahlen ruft ein Pariser Rabbiner Juden dazu auf, Frankreich zu verlassen. Nach dem Erfolg der rechtsextremen Partei Rassemblement National in der französischen Parlamentswahlen hat der Chef-Rabbiner der Großen Synagoge von Paris ein düsteres Szenario für Frankreichs Juden gezeichnet. "Es ist heute klar, dass es für Juden in Frankreich keine Zukunft gibt", sagte Moshe Sebbag der "Jerusalem Post" am Montag. "Ich sage jedem jungen Menschen, er soll nach Israel oder in ein sichereres Land gehen."

"Résistance": Frankreichs Beamte erwägen passiven Widerstand gegen Le Pen

In Frankreichs Öffentlichem Dienst kursieren ebenso bereits schlimme Befürchtungen. 500 Spitzenbeamte, Abteilungsleiter, Präfekte und Botschafter warten auf eine mögliche Le Pen-Regierung „wie auf einen ‚Meteoriteneinschlag‘“, liest man in den sozialen Medien. "Morgen wird unser Minister vielleicht zur extremen Rechten gehören und verlangen, dass wir Kaderbeamten seine Direktiven anwenden, seine Politik umsetzen und eine Bildung organisieren, die im Widerspruch zu den republikanischen Werten steht" so die Befürchtung. Was diese Werte sind, wissen alle Franzosen_innen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das Gegenteil des „nationalen Vorzugs“, den das Rassemblement National von Marine Le Pen zulasten von Zugewanderten und Ausländern in vielen Sozialbereichen umsetzen will. "Nach bestem Gewissen und Verantwortungsbewusstsein – wir werden nicht gehorchen“, schreiben die Petitionäre. „Wir erklären hiermit, dass keiner von uns Maßnahmen anwenden würde, die gegen die Werte der Republik verstoßen.“ Die Petition ist von mehr als 2500 der betroffenen Spezialbeamten unterzeichnet. 

Frankreich protestiert und streikt gerne und viel. In den Jahren 2012 bis 2020 waren es durchschnittlich rund 92 Ausfalltage pro 1.000 Beschäftigte - ein weltweiter Spitzenwert, vergleichbar nur mit Belgien (zum Vergleich Deutschland: 18 Tage). In Erinnerung ist sicher noch die Gelbwestenbewegung (französisch "Mouvement des Gilets jaunes"), eine überwiegend über soziale Medien organisierte Bürgerbewegung in Frankreich, die zwischen November 2018 und ihrem Abflauen im Frühjahr 2019 landesweite Proteste ausrief. Die Bezeichnung leitet sich von den gelben Warnwesten ab, die die Protestierenden als Erkennungszeichen trugen. Die jeweils am Samstag über mehrere Monate stattfindenden Demonstrationen der „Gelbwesten“ begannen zunächst als Protest gegen eine von Präsident Emmanuel Macron zur Finanzierung und Durchsetzung der Energiewende in Frankreich geplante höhere Besteuerung fossiler Kraftstoffe (insbesondere Diesel). Später wurden weitere Forderungen aufgestellt, etwa die Anhebung des Mindestlohns und der Renten sowie die Einführung eines „basisdemokratischen“ RIC (référendum d’initiative citoyenne), mit dem die politischen Belange stärker direkt mitgestaltet werden sollen. Die politische Ausrichtung ihrer Anhänger ist uneinheitlich und reicht von extremen Nationalisten bis zu anarchistischen Aktivisten; die Bewegung verfügte weder über ein Programm noch gibt es Ansprechpartner oder offizielle Sprecher. Die Proteste waren wiederholt von gewalttätigen Krawallen (inklusive Brandstiftungen) begleitet und einer Radikalisierung einiger Demonstranten über die Monate. 

Das Streikrecht gibt es in Frankreich seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es sogar in die Präambel der damaligen Verfassung aufgenommen und hat bis heute Verfassungsrang. In Frankreich darf grundsätzlich jede und jeder streiken. Mit wenigen Ausnahmen - wie etwa Polizisten und Militärs - können selbst Beamte streiken. Dass Staatsbedienstete in Deutschland nicht streiken dürfen, verwundert in Frankreich viele. Wenn in Frankreich mindestens zwei Beschäftigte ihre Arbeit niederlegen, um zusammen Forderungen gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen, so gilt das als Streik. In Deutschland dürfen dagegen nur die Gewerkschaften zum Streik aufrufen. Hierzulande könnten Beamte bestenfalls in den Bummelstreik gehen, sollten rechtsgesinnte Dienstherren das Sagen erlangen oder sich im Zwiefel krank melden, um das Land vor Schaden zu bewahren aufgrund "unsinniger" Dienstanweisungen.

Macron hat sich also verzockt. Frankreichs Krise kommt zu einem schrecklich ungünstigen Zeitpunkt. Vielleicht hat deshalb einer die EU-Regel, sich nicht zu nationalen Wahlergebnissen zu äußern, gebrochen und das französische Wahlergebnis doch kommentiert: Der polnische Regierungschef Donald Tusk warnt in den sozialen Medien vor dem Ansturm der Rechten. Gegen- und Zusammenhalten ist seine Forderung, sein Hilfeschrei für Europa. Und nun wird hastig an einer Strategie gebastelt, wie man verhindern kann, dass die Rechten nach der Macht greifen. Das linke Bündnis hatte bereits im Vorfeld angedeutet, sich in allen Wahlkreisen zurückziehen zu wollen, wo ein Macron-Kandidat besser platziert ist, um den Rassemblement National zu schlagen. Diese Haltung wurde nun bereits offiziell bestätigt. Das Referendum entscheide über folgende Frage, so der Wortführer der Gemäßigten innerhalb des Linksbündnisses, Raphael Glucksmann: "Wollen wir, dass die extreme Rechte das erste Mal in diesem Land die Macht an den Urnen ergreift?". Beschwörend klangen diese Worte, hatte doch Präsident Macron im Wahlkampf immer wieder das linke Bündnis für genauso gefährlich erklärt wie das extrem rechte Bündnis. Auch das Präsidentenlager ist nun umgekehrt dazu bereit, seine Kandidaten zurückzuziehen, sollte ein Kandidat der linken Volksfront bessere Chancen haben, gegen den RN zu gewinnen. Konservative und Linke ziehen gemeinsam an einem Strang gegen Rechts. Das könnte im Herbst auch in (Ost-)Deutschland passieren...

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