Während ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland vor 100 Jahren noch mit rund 180 Gegenständen auskam, so soll ein Haushalt heutzutage etwa 10.000 Gegenstände besitzen. Zehntausend! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das sagt zumindest (angeblich) eine Statistik des statistischen Bundesamtes. Woher die Information mit den 10.000 Dingen kommt, weiß beim Statistischen Bundesamt allerdings niemand. Das Gerücht der 10.000 halte sich hartnäckig, aber es liest sich halt gut. Hier bewahrheitet sich also die Redensart "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast".
Eine BWL-Studentin aus Iserlohn, hat das vor einiger Zeit daher mit ihren eigenen Besitztümern geprüft. Sie kam auf 2.198. Darunter 100 Bücher, 251 Kleidungsstücke, 17 Paar Schuhe, 237 Dekogegenstände, 122 Nägel und Schrauben, zwei Stofftiere, sechs Scheren, 100 alte Bravo, 21 Kugelschreiber, acht USB-Sticks, drei Trinkflaschen. Eigentlich besitzt sie mehr als 2.198 Dinge, das war einfach nur die Zahl, bei der sie die Zählung abbrach.
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Steve Cutts "Happiness" |
142 CD`s stehen im Regal, irgendwo im Keller in einer Kiste sind es noch mehr. Die Hausbar umfasst 18 Flaschen Spirituosen, elf Topfpflanzen stehen in der Wohnung, ebenso wie zwei Spielekonsolen und 17 Möbelstücke... Schnell zeigt sich: Eine solche Zählung dauert nicht nur ewig, sondern es tauchen auch ständig Definitionsfragen auf. Sind ein Paar Sneaker jetzt ein oder zwei Gegenstände (m.E. einer, denn was soll man mit nur einem Schuh)? Zählt bei der Hausapotheke jede Tablette oder doch jeder Blister (m.E. die Packung)? Eine realistische Hochrechnung bzw. Schätzung ist aus solchen Stichproben nicht möglich. Auch weil sich der Besitz praktisch tagtäglich ändert: Neues kommt hinzu, Dinge werden entsorgt, "verliehen" oder schlicht auch verbraucht. Fakt ist aber: Wir besitzen heute sehr viel mehr, als noch unsere Eltern oder gar Großeltern. Und die Frage ist:
Brauchen wir das alles wirklich?
Der US-Blogger Dave Bruno tingelt seit Jahren mit der These über die Bühnen, dass man eigentlich nur 100 persönliche Dinge zum Leben bräuchte. Das ist insofern ein bisschen irreführend, weil er die Gegenstände, die er sich mit seiner Familie teilt – also von Möbelstücken bis zu Besteck –, nicht mitzählt. Da sind wir wieder bei der Definitionsfrage. 100 persönliche Nicht-Alltagsgegenstände klingen allerdings deutlich realistischer. Ein deutscher Minimalist gab vor ein paar Jahren den Ratschlag, dass man sich die Frage stellen sollte, was man bei einem Feuer aus seinem Haus mitnehmen würde - also, abgesehen von Personen oder Haustieren. Oder ähnlich wie bei dem Spiel "60 Seconds" in welchem eine Familie, die Auswirkungen einer nuklearen Apokalypse so lange wie möglich versucht zu überleben und zu Beginn hat der Spieler 60 Sekunden, um alle Familienmitglieder sowie Vorräte und sonstige nützliche Gegenstände (Radio, Gewehr, "Erste Hilfe"-Kasten) zu einem unterirdischen Bunker unter ihrem Haus zu bringen. Was ist wirklich wichtig?
Weiterer Fakt: Der "Homo Sapiens Digitalis" hat weit weniger reale und mehr digitale Besitztümer, also im Vergleich zu früher. Damals ("Opa erzählt vom Krieg") hatte ich mir recht regelmäßig Bücher gekauft und vor allem CD's, ganz früher noch Singles, LP's, also Vinyl. Und Videokassetten! Ich habe (heute noch!) etwa 200 VHS-Videokassetten, die auf eine Digitalisierung warten. Fast ebensoviele Singles und CD's, die schon Ewigkeiten nicht abgespielt wurden. Warum? Weil ich heute, bevor ich ewig im Regal nach dem Lied meiner Stimmung suche, einfach unserer "Haus-Sklavin" sage "Alexa, spiel...". Statt umständlich (wie früher) Kassetten oder Mini-Disc's mit meinen Mixes aufzunehmen, erstelle ich Playlists, in Minutenschnelle. Fotos haben wir auch noch reichlich - säuberlich in Alben eingeklebt, wie auch banal in Fototaschen. Aber seit einigen Jahren speichern wir Fotos ausschließlich auf dem Handy/der Festplatte. Ausgedruckt wird da lange nichts mehr. Anstatt für Bücher Bäume abholzen zu lassen, lese ich sie lieber digital auf dem Kindle oder dem Handy/Tablet. Und bevor ich eine Videokassette bis zur richtigen Stelle vorspulen muss, wird gestreamt. Lästig ist da lediglich, dass fast alles erneut gegen Geld ausgeliehen oder halt gekauft werden muss.
"Ach guck mal an, was wir alles haben!"
Aber wir haben jüngst am eigenen Leib erfahren, dass man (viel zu) viel Zeug besitzt: Durch die Sanierungen am/im Haus war es notwendig den Keller leer zu räumen. Schnell kommst du zur nüchternen Erkenntnis: Wohin damit? Im Haus verteilen? Viel zu viel, wochenlang über Umzugskartons stolpern? Nein, danke. Apropos: Umzugskartons. Du denkst, du fährst zum Baumarkt, kaufst zehn Stück und dann passt das. Weit gefehlt! Wir haben allein für Umzugskartons einen dreistelligen Betrag ausgegeben, bis wir alles soweit eingepackt hatten, was alles so (lose) im Keller schlummerte: Weihnachtsdeko, Bücher, Aktenordner, alte Schulsachen von den Kindern, von uns, das Raclette, welches einmal im Jahr hervorgekramt wird, das Waffeleisen, das Fondue, usw. usw.. By the way: Wir hatten früher einmal ein (sehr altes) Raclette UND ein (ebenso altes) Fondue, haben beides verkauft, um uns dann ein Kombigerät zuzulegen... hmmm.
Wir haben also rund 20 Umzugskartons gepackt - nur mit Zeug aus dem Keller - und haben diese eingelagert. In einem "Self-Storage", also einer Lagerbox. Diese war etwa 4-6m² groß und 3m hoch. Dieser Lagerraum kostete die ersten beiden Monate rund 95€, danach monatlich 95€. Insgesamt haben wir also für die Lagerung und die Kartons rund 400€ bezahlt, damit das Hab und Gut, tja auch unser Hab und Gut bleibt, hätte man ja auch alles entsorgen können. Im Nachhinein muss man sich die Frage stellen: Ist der Kram das Geld eigentlich wert? Faktisch: Je länger man das Zeug einlagern würde, desto eher kommt man zu der nüchternen Erkenntnis: NEIN. Will sagen: Dauerhaft würde ich mir solch eine externe Lagergeschichte nicht leisten wollen (haben wir aber nun doch gemacht). Da müsste ich theoretisch schon Monet's Seerosenmalerei oder Goldbarren lagern wollen. Nur zum Vergleich: Ich habe irgendwann eine Doku gesehen, in der es um eine jüdische Familie ging, die zu Zeiten des 2. Weltkriegs aus Deutschland nach Amerika geflohen ist. Als 2014 die Mutter starb, mietete die Tochter in Harlem, fünf Stockwerke unter dem Hudson River ein "Schließfach", um dort die Möbel und anderen persönlichen Dinge der Mutter einzulagern. Sie bezahlt dafür monatlich (!) 400 Dollar. Das sind also bis heute umgerechnet weit über 50.000 Euro. Ich meine, hier geht es um persönliche Erinnerungen, um Werte, aber dennoch...
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Bild: Steve Cutts |
Prominente Entrümpel-Experimente
Kommen wir zurück zur Frage: Wie viel Kram braucht man? Es gibt eine Komödie namens "100 Dinge" aus dem Jahr 2018 mit Matthias Schweighöfer und Florian David Fitz. Die beiden sind (im Film) jung, erfolgreich mit ihrem IT-Start-up und sind regelrechte sozialisierte Materialisten. Der eine ist dabei der „chaotische“ Schluffi, der aus Frust überkonsumiert, beispielsweise mit „sündhaft teuren Sneakern“, während der andere bewusst überkonsumiert, sich vor dem Duschen an ein Rudergerät setzt, eine hochwertige Espressomaschine besitzt und viel Wert auf eine gute Frisur legt. Auf einer Firmenfeier gehen beide eine Wette ein, dass sie das alles nicht wirklich bräuchten. Folglich wird ihr ganzes Hab und Gut in eine Lagerhalle weggeschlossen und jeden Tag erhalten sie je einen Gegenstand ihrer Wahl zurück. Schnell wird hier klar, was ist wirklich wichtig.
Ein ähnliches Experiment verfilmte 2015 bereits der Finne Petri mit "My Stuff - was brauchst du wirklich?". Er ist Mitte 20 als seine Freundin ihn verlässt. Er tröstet sich, indem er seine Kreditkarte zum Glühen bringt. Er kauft und kauft und kauft. Glücklicher wird er dadurch nicht. Petri steckt tief in einer echten Existenzkrise, als er sich entscheidet, ein Selbst-Experiment zu starten: Er packt alles (wirklich alles!), was er hat in ein "Self Storage"-Lager und legt klare Regeln fest:
1. Das Experiment dauert ein Jahr.
2. Jeden Tag darf er einen Gegenstand aus dem Lager zurückholen.
3. Neue Dinge kaufen, darf er in dieser Zeit nicht.
Er setzt sein Leben zurück auf Anfang. Petris neues Leben beginnt nackt in einem leeren Apartment. Die Uhr tickt, er wartet auf Mitternacht, wenn er den ersten Gegenstand aus dem Lager holen darf, läuft er durch eine bitterkalte Januarnacht in Helsinki, nur "bekleidet" mit einer Zeitung aus dem Müllcontainer.
Der Schweizer Cédric Waldburger ist als Startup-Investor reich geworden. Heute könnte sich der junge Millionär jeden Luxus leisten. Doch Waldburger lebt stattdessen als Minimalist. Nachdem er um den halben Globus umgezogen war, hatte er sich irgendwann gefragt, wie viele Sachen er eigentlich besitzt. Und er hatte keine Antwort. Daraufhin hat er angefangen, alle Gegenstände aufzuzählen. Damals ist er auf 600 bis 700 Sachen gekommen. Es hat drei Monate gedauert, bis die Liste komplett war. Dann hat er nach und nach die Zahl der Gegenstände reduziert. Momentan besitzt er etwa 55 persönliche Gegenstände. Dazu zählt er Sachen, die er mitnimmt, wenn er umziehen würde. Also: Kleidung, Laptop, Kamera, Beauty-Artikel und meist passen diese alle in einen (!) Rucksack. Was er derzeit nicht dazu zählt, sind Bett, Couch, Tisch, Stühle. Dennoch ist seine Wohnung aktuell ziemlich leer, auch beispielsweise ohne irgendwelche Bilder an den Wänden.
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Leben als Minimalist - alles passt in einen Rucksack - Bild: Cédric Waldburger |
Im Lied "Leichtes Gepäck" von Silbermond geht es nicht nur um reellen Besitz, sondern auch um geistigen Ballast. Wörtlich heißt es hier:
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Karikatur: Steve Cutts |
- Vermeide Abfall und denke darüber nach, bevor du etwas kaufst. Eine Hilfe: Mach dir eine Liste, auf der du (vermeintlich) notwendige Anschaffungen notierst. Denke ein paar Tage drüber nach und wenn der Gedanke immer noch stark ist, benötigst du es womöglich wirklich. Dann überlege, ob du es vielleicht gebraucht anschaffen kannst, denn...
- Verwende wieder - ...gib Dingen eine zweite Chance. Repariere, reinige, renoviere oder funktioniere etwas um. Sei kreativ. Des einen Müll ist des anderen Schatz. Spende Dinge, die niemand aus deinem Umfeld haben möchte, einem karitativen Zweck.
- Verwerte Rohstoffe - wenn Komponenten richtig getrennt werden (Klassiker: Joghurt-Becher aus Kunststoff und Deckel aus Aluminium), können sie auch vernünftig aufbereitet werden. Das spart Rohstoffe. Kompostiere wenn möglich alle natürlichen Rohstoffe.
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Das 3R-Prinzip - Quelle: Twinkl |
- refuse (ablehnen)
- reduce (reduzieren)
- reuse (wiederverwenden)
- recycle (wiederverwerten)
- rot (kompostieren)
- Was man innerhalb des letzten Jahrs nicht benötigt hat, wird man höchstwahrscheinlich auch zukünftig nicht brauchen. Dinge, bei denen man sich unsicher ist, kann man in einen Karton packen, beschriftet diesen mit dem Datum an dem man ihn gepackt hat und stellt ihn in den Keller oder auf den Dachboden. Auch hier gilt die Jahresregel: Nach einem Jahr entsorgen, ohne ihn zu öffnen. Wenn man dann nicht mal mehr weiß, was drin ist, vermisst man es auch nicht wirklich.
- Bei allem sollte man sich eine Frage stellen: „Gibt mir das etwas?" (also beispielsweise der Lieblingspulli ein gutes/Wohlfühlgefühl, das Küchenwerkzeug eine Erleichterung bei der Arbeit, das Foto/das Geschenk eine schöne Erinnerung) oder "belastet es mich eher?" (das eigene Auto kann z.B. etwas sein, was verbunden mit tanken, reinigen, reparieren, usw. unterbewusst eher als Belastung empfunden werden kann).
- Alles, was man nicht mehr haben möchte, kann man dann entweder verkaufen, jemandem schenken oder aber (umweltgerecht) entsorgen.
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