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Das Ende oder die Wiedergeburt der Leistungsgesellschaft?

Wenn jenseits von Sport und Breitbandnetzen Leistungen gefordert werden, geht es meist um Sozialleistungen. Also um etwas, das zu verteilen ist. Nicht um etwas, das jemand erbringen soll. Doch jetzt meint die CDU, wir müssten alle wieder mehr leisten (und meint damit vorrangig nicht den Staat). Höher, schneller, weiter – in der heutigen Gesellschaft wird generell suggeriert, dass man nur mit kontinuierlicher Optimierung der Persönlichkeit, Performance und der persönlichen Umstände den „Anschluss behalten“, Wohlstand bewahren kann. Wer sich anstrengt und Leistung erbringt, der wird anerkannt und schafft es nach oben - so lautet das Versprechen unserer Leistungsgesellschaft. Was als Leistung definiert wird, bleibt jedoch diffus. Warum „leistet“ eine Pflegekraft, die Verantwortung für das Leben anderer übernimmt, (scheinbar) weniger als jemand, der als Manager Verantwortung für ein Unternehmen trägt? Oder leistet die Pflegekraft sogar mehr, nur werden ihre Leistungen monetär (leider) nicht anerkannt?

Bild: Collage


Bundeskanzler Friedrich Merz (das zu schreiben fühlt sich immer noch so schräg an) kritisiert: Die Deutschen arbeiten nicht genug. Seine Regierung will den Acht-Stunden-Tag abschaffen und längere Arbeitszeiten ermöglichen. Eine steile These für jemanden, der (Insidern zufolge) in der Zeit bei Blackrock bestenfalls zwei Tage die Woche "gearbeitet" hat, vor Vorträgen immer gebrieft werden musste und mehr als "Türöffner" fungierte, also Kontakte in die Politik vermittelte. Auch Generalsekretär Carsten Linnemann hat sich in die Diskussion gewagt und hat die Bürgerinnen und Bürger dazu aufgefordert, mehr Einsatz zur Erhaltung des Wohlstands zu zeigen. Zitat "Work-Life-Balance sei nichts Verwerfliches. Aber man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht mehr um Work-Life-Balance geht, sondern um Life-Life-Balance“.

Seit 1918 gilt für Arbeiter_innen ein Acht-Stunden-Tag. Davor war die Arbeitswelt sehr stark geprägt von der Industrialisierung. Die Arbeitsbedingungen in Fabriken waren häufig schlecht, mit langen Arbeitszeiten bis zu 16 Stunden täglich, an sechs Tagen der Woche und geringen Löhnen, die meist gerade mal so für den Lebensunterhalt reichten. Frauen und Kinder wurden oft in Industrie und Landwirtschaft beschäftigt, dort schlecht behandelt und zu geringeren Löhnen beschäftigt. Es gab keinen Sozialversicherungs- oder Arbeitsschutz, und Arbeiter_innen waren den Fabrikherren i.d.R. schutzlos ausgeliefert. Personal war da eher eine Art Arbeitsmittel, wie Steckschaum für Floristen_innen, das ebenso kurz und schmerzlos ersetzt wurde, wie eine defekte Maschine, wenn es nicht mehr funktionierte. Das sich das alles änderte, ist der Verdienst von Gewerkschaften, welche für die Arbeitnehmer_innen-Rechte hart gekämpft haben.

Popularisiert wurde die Idee des Acht-Stunden-Tages im 19. Jahrhundert von dem britischen Sozialrechtler Robert Owen, der noch heute für den Slogan „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und Erholung und acht Stunden Schlaf“ berühmt ist. Die deutsche Bevölkerung ist in Bezug auf die Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit nach einer jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos gespalten: 46% der Bevölkerung sind demnach für eine wöchentliche Höchstarbeitszeit anstelle der bislang geltenden täglichen Höchstarbeitszeit. Ein fast ebenso großer Anteil von 44% lehne eine solche Änderung ab.

Das grundlegende Problem: Wir sind so produktiv wie noch nie. Wir arbeiten auch so viel wie noch nie (weil auch die Frauen immer mehr arbeiten). Und ja: Viele Länder arbeiten im Vergleich noch mehr als wir. Doch: Es scheint aber nie zu reichen. Nicht die Arbeit und nicht der Konsum. Alles muss immer mehr sein. Damals, (Vati erzählt vom Krieg) hatte mein Vater mit seiner Arbeit genug erwirtschaftet, dass es reichte, um vier Kinder großzuziehen (mit all ihren Bedürfnissen) die Miete für ein Einfamilienhaus zu bezahlen und diverse andere Dinge auch. Meine Mutter war nicht berufstätig, kümmerte sich um uns Kinder und den Haushalt. Heute ist das (sehr oft) anders: Beide Elternteile sind berufstätig. Nicht zwingend, weil sie es wollen (von wegen "berufliche Selbstverwirklichung" und so), nein, weil sie es müssen. Weil es sonst nicht reicht für die durchschnittlichen 1,38 Kinder, vielleicht einem Hund und Häuschen mit einem Lattenzaun und der Buntspecht klopft eine Melodei.

1988 zahlte man für ein durchschnittliches Reihenhaus in Deutschland (umgerechnet) 190.000 Euro, 2020 waren es lt. Statistik 470.000 Euro - eine Steigerung um 150 Prozent. Rechnet man allerdings die Inflation mit ein, sind die realen Hauspreise "nur" um 15,5% gestiegen. Im gleichen Zeitraum haben die verfügbaren Realeinkommen jedoch um 41% zugenommen. Insgesamt sind die Einkommen also deutlich stärker gestiegen als die Immobilienpreise. Für 51% der Interessenten sei ein Kauf in ihrer Region aktuell dennoch gar nicht oder kaum noch leistbar. Das hat auch damit zu tun, dass die Immobilienpreise in begehrten Regionen in den vergangenen Jahren sehr stark gestiegen sind. Vor allem in Metropolen, wo heute viel mehr Menschen als in den 1980er-Jahren leben, ist das Angebot also knapp und die Nachfrage groß ist, sind Immobilien also heute nicht viel erschwinglicher. Während man in Leipzig für 100m² Wohnraum knapp zehn Netto-Jahreseinkommen benötigt, sind es in Berlin rund 16 und in München 21.

Bild: Collage

Anderes Beispiel, dass heute vieles teurer ist: Die Fahrerlaubnis. 1991 hatte ich für meinen rosa Lappen (wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht) rund 2.200 DM bezahlt, also umgerechnet etwa 1.100 Euro. Der aktuelle Realwert von 2.200 DM entspricht jedoch fast ebensoviel Euro (2.090). Allerdings ist dafür heutzutage kein Führerschein mehr zu machen (od. kaum). Der durchschnittliche Preis kann heute schnell bei bis zu 3.500 Euro liegen (also umgerechnet rund 7.000 DM). 1980 hat ein durchschnittlicher PKW auch nur 8.420 Euro gekostet. 1990 betrug der Preis bereits 15.340 Euro und 2012 lag der Durchschnittspreis bei 26.446 Euro. Ein Neuwagen kostet heute schon fast zehn Monatsgehälter im Schnitt, um bei der Rechnung von eben zu bleiben. Nur zwei bzw. drei exemplarische Beispiele dafür, dass man heute (auch unterm Strich) oftmals mehr leisten muss, um sich etwas leisten zu können.

Aber unabhängig davon, dass viele mehr schuften, um sich die gestiegenen Kosten (auch Lebensmittel, Energie, etc.) leisten zu können: Ich möchte nicht wissen, wie viele auch in ihrer Freizeit E-Mails lesen, oder sich weiterbilden, oder was-auch-immer tun, welches eigentlich (streng genommen) in die Arbeitszeit fallen würde, man dort aber nicht unterbekommt, weil sonst beispielsweise noch weniger Zeit für die Patienten auf der Intensivstation bleibt o.ä.. Beschäftigte in Deutschland haben im Jahr 2023 rund 1,3 Milliarden Überstunden geleistet, den Großteil davon unbezahlt. Menschen, die entweder schon ständig am Limit arbeiten und jeden Tag eigentlich auf den erlösenden Burnout warten oder andere, die teils zwei oder noch mehr Jobs wahrnehmen müssen, um mit dem Einkommen auszukommen, vorzuwerfen, sie hätten eine falsche Arbeitseinstellung, ist blanker Hohn.

Nur mal zur Einordnung: Linnemann fordert einen Mentalitätswandel in Deutschland und kritisierte im Wahlkampf: „In Deutschland gibt es gar keine Leistungsbereitschaft mehr.“ GAR KEINE! Wir erinnern uns: Verallgemeinerungen sind immer Unsinn! Bei Caren Miosga im Ersten ruderte er nun zurück. Es gebe natürlich Millionen (!) Menschen in Deutschland, die fleißig seien, sagt er. Woraufhin Miosga fragt: "Wer arbeitet denn jetzt zu wenig?". Linnemanns Antwort "Rentner zum Beispiel." (WTF?!). Diejenigen, welche nach einem langen Arbeitsleben (nach 65 Jahren oder länger) in den (teils) wohlverdienten Ruhestand gehen? Also ich sage es jetzt mal ganz platt: Menschen, die in einem Alter sind, wo nicht wenige freiwllig ihre Fahrerlaubnis abgeben, weil sie sich dazu nicht mehr in der Lage sehen, weil sie Probleme mit dem Hören, Sehen oder beidem haben, die teils erhebliche Erkrankungen haben, stark mobilitätseingeschränkt sind, sich im schlimmsten Falle nicht mal mehr daran erinnern können, ob und wenn ja was sie zum Frühstück hatten (Stichwort Demenz)... sollen die jetzt wieder (salopp gesagt) in der Fabrikhalle stehen? Klar, sicherlich nicht alle. Aber: Wenn sich Opa am Sonntag auf sein Fahrrad schwingt und heimlich in die Fabrik eindringt, dann hat Oma Angst, dass er zusammenbricht, denn Opa macht heute wieder Sonderschicht. Alles für das Bruttosozialprodukt. Nee, iss klar.

CDU/Linnemann wirbt im Wahlkampf mit "Wohlstand" - Foto: Steffen Böttcher

Zu seinen (Linnemanns) zentralen Reformvorschlägen zählen u.a. die Abschaffung des Bürgergeldes, steuerfreie Überstunden, eine neue Wochenarbeitszeitregelung und eben ein steuerfreier Hinzuverdienst für Rentner_innen im Rahmen der “Aktivrente”. Fun-Fact: Als Mitglied des Bundestages erhält Linnemann eine Abgeordnetenentschädigung in Höhe von 11.227,20 Euro - im Monat. Nur mal so am Rande.

Carsten Linnemann ist Autor der Bücher "Die ticken doch nicht richtig!", "Die machen eh, was sie wollen" und "Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland" und wenn man es böse mit ihm meint, ließe sich sagen, dass das sein politisches Spektrum ganz gut umreißt. In einem CDU-Video wurde Linnemann einmal gefragt, welchen Podcast er gerne hört. "Am besten finde ich diesen 'Einfach-mal-machen-Podcast'", sagte er. Es ist sein eigener - keine Pointe!

Die aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland liegt bei 6,3 % - es gibt weniger als 3 Millionen Arbeitslose. 45,9 Millionen Menschen haben vergangenes Jahr in Deutschland gearbeitet – so viele wie noch nie. Wir haben jedoch immer noch die Fachkräftemangel-Debatte: Es fehlt an qualifizierten Fachkräften in vielen Branchen, insbesondere in den Bereichen Gesundheitswesen, Ingenieurwesen, IT und Handwerk. Im Oktober 2024 fehlten laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft über 530.000 qualifizierte Fachkräfte. Es wird geschätzt, dass 2024 der deutschen Wirtschaft dadurch Produktionskapazitäten im Wert von 49 Milliarden Euro verloren gingen. Aber wir stören uns daran, dass beispielsweise der vor dem syrischen Bürgerkrieg geflüchtete Lehrer seine Arbeitsbescheinigungen in der Hektik dummerweise "vergessen" hat oder dass die rumänische Krankenschwester in ihrer Heimat ja "ganz andere Standards" hat als "wir" und erkennt diese Berufe hierzulande einfach nicht an. Diese Menschen müssen sich dann notgedrungen im Niedriglohnsektor verdingen, wenn sie denn nach einer gefühlten Ewigkeit in diesem Land überhaupt endlich arbeiten dürfen. Türlich, türlich... das Problem ist, dass die Menschen nicht arbeiten wollen. Welcher südsudanesische Kinderarzt liefert nicht viel lieber Pizza Hawaii auf dem Lieferando-Fahrrad aus und lässt sich großzügig mit 30 Cent Trinkgeld abfertigen, wenn es ein guter Tag ist?

Bekommen wir das Problem dadurch gelöst, dass wir künftig statt fünf Acht-Stunden-Tage pro Woche vier Zehn-Stunden-Tage arbeiten? Laut den Gesetzen der Mathematik sind es beide Male 40 Stunden! Oder durch einen steuerfreien Hinzuverdienst für Rentner_innen im Rahmen der “Aktivrente”? Bei der Bundestagswahl konnten die Unions-Parteien (CDU/CSU) bei Menschen, die über 60 Jahre alt sind, besonders stark punkten. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet (unud dadurch nicht der Rentenkasse zur Last fällt), bekommt sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei. Das bedeutet allerdings nicht, dass Rentner den gesamten Betrag behalten können: Sie müssen weiter Sozialbeiträge zahlen, wenn auch insgesamt weniger als reguläre Beschäftigte. Auch eine Steuerklärung ist weiterhin fällig, sofern der Freibetrag überschritten wird. Um die Aktivrente (für Arbeitgeber) attraktiver zu machen, soll es zukünftig einfacher sein, Rentner befristet einzustellen – auch am selben Arbeitsplatz. Eigentlich verbietet das Vorbeschäftigungsverbot, dass ein zuvor unbefristet angestellter Arbeitnehmer erneut befristet beschäftigt werden darf. Künftig wird auch das aufgeweicht und es soll erlaubt sein, dass Beschäftigte, die das Rentenalter erreicht haben, beim bisherigen Arbeitgeber auf Grundlage eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags weiter beschäftigt sind.

Wir sollen also mehr/länger arbeiten. Man kennt das aber: Bei vielen Rentner_innen platzt erst im Ruhestand der Terminkalender aus allen Nähten. Und: In fast jedem Freundes- und Bekanntenkreis redet so ziemlich jede/r davon, wie viel Stress er/sie hat – nicht nur beruflich, sondern auch familiär. Der tägliche moderne Dreikampf zwischen Beruf, Familie und meist auch noch Hobby/Ehrenamt. aber niemand traut sich, eine Faulenzer-Phase zu kommunizieren, nach dem Motto "Ich bin dann mal raus!". Wir profilieren uns lieber damit, wer am meisten arbeitet ("Kenn' ich!") und damit die größten Erfolge erzielt ("Hab' ich auch!"). Und wenn jemand in Studium oder Beruf nicht mit regelmäßigen Nervenzusammenbrüchen zu kämpfen hat, ist das ein Zeichen von Faulheit. Wir bemessen unseren sozialen Wert daran, wie viel wir leisten und eben nicht, wie gut es uns geht. Auch ein Grund, warum Depressionen (Stichwort "Burnout") bei Erkrankten mit einem "Lach' doch einfach mal!" oder "Mach' mal Sport!" abgetan werden, jemandem mit einem gebrochenen Bein, auf Krücken humpelnd, hingegen ganz selbstverständlich die Türe aufgehalten wird ("Der arme Mensch...")... anderes Thema.

Jungen Leuten ("Gen Z") wird häufig nachgesagt, sie wären wenig motiviert - wie will die CDU diese dann dazu bewegen, mehr/länger/härter zu arbeiten? Das kann zum einen daran liegen, dass frühere Versprechen á la "Du musst dich nur hart genug anstrengen, dann..." heute nicht mehr allgemeintauglich sind (s.o. Eigentum erwerben). Ich kann es gewissermaßen nachvollziehen, dass es an der Motivation knuspert, wenn man schlappe 15 Netto-Jahresgehälter in ein Dach über dem Kopf investieren muss. Dennoch ticken sie im Großen und Ganzen offenbar doch anders: Sie sind ehrgeizig, haben Ziele und arbeiten hart dafür. Laut einer Umfrage des Wirtschaftsprüfers Deloitte arbeiten 72% der in Deutschland befragten Millennials mehr als 40 Stunden pro Woche, fast ein Viertel sogar mehr als 50 Stunden pro Woche. Und das nicht nur in einem Job: Mehr als 17% der Befragten gehen zwei oder mehr bezahlten Tätigkeiten nach. 

Politiker, Ökonomen und Manager werben um Leistungsträger, sie preisen (normalerweise) die Leistungsfähigkeit der Deutschen und fordern Leistungsgerechtigkeit. Die Arbeitsleistung, so heißt es, ist das Fundament der Gesellschaft, die dadurch zur Leistungsgesellschaft wird, in der jeder gemäß seiner Leistung bezahlt wird oder zumindest bezahlt werden sollte. Doch wie misst man Leistung? Nicht unbedingt am Arbeitseinsatz oder Engagement. Jemand, der sich anstrengt und lange arbeitet, leistet nicht unbedingt mehr als jemand, der es ruhiger angehen lässt. Was zählt, ist das Ergebnis. Eine besondere Leistung scheint auch nicht vorzuliegen, wenn jemand einen besonders schmutzigen, anstrengenden, monotonen oder unbeliebten Job erledigt – eher ist es umgekehrt: schlechte Jobs werden auch schlecht bezahlt. Das Einkommen richtet sich auch nicht danach, wie gesellschaftlich nützlich eine Arbeitsleistung ist: So erhält eine Altenpflegerin weniger Geld als ein Ingenieur, der am Sound eines Porsche-Motors bastelt – und der Ingenieur erhält weniger als ein Banker, der mit Aktien spekuliert und fette Dividende einfährt, weil er auf sinkende Kurse eines Unternehmens gesetzt hat.

Es gibt Berufe mit hohem sozialen Ansehen und welche, die "ausbaufähig" sind. Bild: Collage

Wenn ein Arbeitnehmer zehn Lampen pro Tag zusammenschraubt und der andere 20, dann ist der zweite produktiver - so die allgemeine Meinung. Doch ist die Wirtschaft heute über das Stadium des einfachen Handwerks hinaus. Die meisten Jobs sind im Dienstleistungssektor und erbringen keine einzelnen Produkte. Außerdem wird heute mehr denn je vernetzt gearbeitet, man leistet nicht allein, sondern ist auf andere angewiesen. Jemand kann zwar große Wirtschaftsstudien schreiben – doch dafür braucht derjenige Menschen, die das Büro reinigen, das Institut verwalten und andere, welche den Computer warten. Ohne diese Menschen müsste derjenige das alles selbst/auch noch machen, wenn er es denn überhaupt könnte. In der großen Arbeitsteilung ist nicht mehr zu berechnen, wer zu welchen Anteilen am Betriebserfolg verantwortlich ist. Es braucht schlicht alle.

Bevor mit der industriellen Revolution das Zählbare zum Maß der Dinge wurde, galt Leistung stets der Gemeinschaft. Da waren Menschen, die sich zu sehr der individuellen Arbeit widmeten, sogar verschrien. Davon allein noch übrig ist die Formulierung „Gesellschaft leisten“.

Ich denke nicht, dass das Gros der Menschen nicht genug arbeitet oder sie gar als faul abzustempeln. Ich würde eher dahingehen, dass viele schlicht unzufrieden sind, mit dem was sie tun (müssen). Würden mehr Menschen Gelegenheit haben, dass zu tun, was sie er-/ausfüllt, dann wäre sicherlich auch die Produktivität höher. Jemand, der hingegen nur seine acht Stunden stumpfen Broterwerb ausübt, um am Ende des Tages die Miete bezahlen zu können und etwas im Kühlschrank zu haben, wird eben auch nur das leisten, wofür er/sie bezahlt wird. Selten darüber hinaus. Die Frage ist also nicht, sollen wir künftig 5x8 oder besser 4x10 Stunden arbeiten. Die Frage muss sein: Wie bekommen wir die Menschen dahin, dass sie das tun können, wofür sie brennen UND dass sie davon auch leben können?

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