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Karte? Nein, Danke.

Ich glaube, in kaum einem anderen Land ist Kartenzahlung so wenig akzeptiert und wenn dann so kompliziert wie in Deutschland. Man kennt es: Wer nicht mit einer prall gefüllten Geldbörse durch den Alltag stapft, in welcher die Scheine in allen Abstufungen und ausreichender Anzahl fein säuberlich das Portemonnaie füllen, der wird sich hier und da in einer kritischen Situation befinden: Habe ich genug Geld dabei? 

So jüngst passiert, nicht mir, sondern dem Kunden vor mir an der Rewe-Kasse: Er hat seinen gesamten Wocheneinkauf an der Getränkemarkt-Kasse aufgebahrt und der Kassierer wird bei den letzten Artikeln immer zögerlicher. Verwundert tauche ich in das Geschehen ein, von dem ich bislang nur beiläufig Notiz nahm, derweil ich meine Rewe-App startklar machte. "Ja, die Mortadella noch, und eine zweite, und eine dritte, die Pizza auch, ja das Toastbrot kann noch..." was zur Hölle? Beim Blick auf den Gesamtbetrag erahne ich dann, er versucht nicht über 70 Euro zu kommen (weil er nicht mehr dabei hat). Das letzte Teil ist ein Fertiggericht, aber bei 68 Euro irgendwas sagt er dann, dass müsste hier bleiben. Danach bezahlt er, bekommt 1,25 Euro Wechselgeld und löst DANACH noch einen Pfandbon ein... es soll sich offenbar nicht um sein eigenes Pfandgeld handeln, weshalb er keine 2,29 Euro in das "ja! Schlemmergulasch in Sauce mit Nudeln und Gemüse" investieren konnte. However. Der sichtlich irrtierte Kassierer bittet den Kollegen das Fertiggericht in die Tiefkühle (!) zurückzubringen, offenbar ohne zu registrieren, dass es "handwarm" ist. Wäre es ursprünglich mal ein Tiefkühlprodukt gewesen, dann sollte es jetzt bitte nicht mehr dahin zurück (Stichwort Temperaturschaden/Kühlketten-Unterbrechung). Der Kollege klärt ihn dann auch auf, dass es sich um ein Mikrowellen-Fertiggericht aus dem ungekühlten Bereich handelt... wie erwähnt: HOW-EVER!

Der Kartenzahlungs-Dschungel-Schilderwald - Bild: Collage

So weit so unnormal. Ich fragte mich unweigerlich "Warum hat der Typ nicht einfach mit Karte gezahlt?". Ja, es gibt sicherlich diese Zeitgenossen, die unweigerlich auf Bares schwören. "Ich kann nur das ausgeben, was im Portemonnaie ist!". Verstehe schon. Warum jedoch teilt sich unsere Nation so dermaßen in Karten- und Barzahler_innen? Es ist wie Raucher- und Nichtraucher_innen. Entweder bist Du Team A, dass an der Kasse sein Kunststoff zückt, ein Piep, vielleicht noch vier Ziffern und das war es oder Du bist Team B, dass mühsam seine Scheine und/oder Kleingeld zusammenkramt und damit nicht unsignifikant den Kassenbetrieb verzögert. Es ist einer der Gründe, warum ich bevorzugt in Geschäfte gehe, die eine Selbstscan-Kasse anbieten, gleichwohl es auch hier Probleme geben kann, wenn jemand an dem Gerät zugange ist, als hätte er/sie nur einen Arm.... von einem T-Rex. Egal.

Aber zurück zum eigentlichen Thema: Hierzulande ist es praktisch reiner Luxus, wenn Du mit Karte zahlen kannst. Es ist wie ein Ritterschlag eines Restaurants mit einem Michelin-Stern, wenn vorne an der Eingangstüre das Karten-Logo prangt. Es gibt etliche Geschäfte, die diesen Service nicht anbieten. Und dafür gibt es (mutmaßlich) zwei Gründe:

  1. Entweder wird vorgebracht, dass die Terminals für die Kartenzahlung außer viel Gebühren nichts bringen (sie sind also zu teuer/"unwirtschaftlich")
  2. Oder aber es liegt der Verdacht des Steuerbetruges in der Luft 

Letzteres aus dem Grund, weil sich Bargeldzahlungen sehr gut "verschleiern" lassen. Wer beispielsweise in Griechenland Plastikgeld zückte, um zu bezahlen, hatte früher im wahrsten Sinn des Wortes schlechte Karten. Auch die meisten Handwerker packten das Werkzeug gleich wieder ein, wenn der Kunde auf Kartenzahlung und einer Quittung bestand. Und auch hierzulande sieht man immer öfter an Restaurants ein Schild am Eingang "nur Barzahlung" bzw. "keine Kartenzahlung". Wenn am Ende des Menüs dann auch noch die Summe nur auf einem Kellnerblock notiert präsentiert wird oder der Ausdruck des Kassensystems lediglich "Zwischenrechnung" ausweist, sollte man kritisch werden. Die „Zwischenrechnung“ ist eigentlich kein Kassenbon zum Abkassieren, wird den Kunden im Restaurant aber oft vorgelegt. Man erkennt den Bon eben daran, dass er als „Zwischenrechnung“ gekennzeichnet ist, oftmals steht sogar explizit dabei: "Dies ist keine Rechnung". Der Betrag wird somit nicht in die Kasse eingegeben und läuft unter dem Radar des Finanzamtes. Anderes Thema...

Der andere Grund, die Terminals sind zu teuer, bzw. deren Anbieter verlangen zu hohe Gebühren, wird mancherorts noch mit einem Mindestumsatz versucht zu umgehen. "Kartenzahlung ab 10 Euro" steht z.B. an der Kasse. So etwas wirst Du in der Schweiz nicht finden... da kostet einfach NICHTS unter zehn Euro! Scherz beiseite. Für die Hardware gibt es natürlich stets die Möglichkeit des Kaufs oder eben der Miete. Die monatlichen Fixkosten für die Nutzung eines sogenannten POS-Geräts (Point Of Sale) betragen je nach Anbieter und Terminal zwischen 9,99 Euro und 49,99 Euro pro Monat. Für jede Zahlung fällt eine geringe Gebühr an und dessen Höhe hängt wiederum vom Zahlungsmittel selbst ab:

  • Beispielsweise fallen für Zahlungen mit einer Girocard ("EC-Karte") Gebühren in Höhe von 0,25% des Umsatzes an. Also bei 100 Euro dann 25 Cent.
  • Für Zahlungen mit einer Debitkarte von Mastercard oder Visa beträgt die Gebühr 0,89% des Zahlbetrags.
  • Für "echte Kreditkarten" sind es gar 1,19 bis 1,9% Gebühren

Jetzt sagen wir einfach mal, ein durchschnittlicher Unternehmer hat über den Monat 200 Buchungen (bei zwanzig Werktagen, also zehn am Tag). Und eben im Durchschnitt einen Umsatz von 50 Euro. Wären 10.000 Euro Umsatz. Bei 200 Buchungen fallen durchschnittlich 0,125 Cent Gebühren an (macht 25 Euro) plus eine Miete von (Mittelwert) 25,-. In Summe also etwa 50 Euro Gebühren... bei 10.000 Euro Umsatz. Oder anders: Es wären nur 199 Besucher_innen da gewesen und alle hätten mit Bargeld bezahlt.

In Zeiten von kleinen Margen könnte man die Ablehnung der Händler ja vielleicht noch nachvollziehen. ABER: Noch immer gibt es das Gegenargument, dass es Menschen gibt (und da zähle ich mich dazu), die einer Lokalität den Vorzug geben, in der man mit Karte zahlen kann, gegenüber derjenigen, wo nur Bares Wahres ist. Unser Beispiel-Unternehmer hätte also mitunter pro Tag zwei Gäste mehr gehabt, weil sie mit Karte hätten zahlen können = 240 Gäste = 12.000 Euro Umsatz (vor Gebühren).

Vermutlich wird es aber auch irgendwo "Spezialisten" geben, die am Ende der Quittung Positionen ausweisen wie:

  • Service/Bedienung €4,80
  • Energiepauschale €3,90
  • Gedeck €1,20
  • Einwegverpackung (Restemitnahme) € 1,00
  • Gebühren Kartenzahlung € 0,90 
So würde der ursprünglich geplante Restaurantbesuch beispielsweise ähnliche Dimensionen erhalten, wie der Kauf eines Autos.

Ja, verstanden... keine Kartenzahlung - FÜNF Schilder in einer Eisdiele - Netzfundstück
 

Nochmal zurück zu Griechenland: Der Bargeldumlauf in Griechenland belief sich nach Angaben der Zentralbank 2020 auf 21,7 Milliarden Euro. Zwei Jahre darauf waren es nur noch 15,7 Milliarden. Ende Dezember 2024 war der Bargeldumlauf sogar auf 3,8 Milliarden Euro gefallen. Das entspricht einem Rückgang um 82 Prozent in nur fünf Jahren.

Auch andere Länder: Kein Problem, den Kaugummi, die Zeitung oder drei Brötchen beim Bäcker mit Kreditkarte zu zahlen. Skandinavische Länder lieben unbare Zahlung. 2023 zahlten laut Umfragen 90 Prozent der Schweden per Karte oder App und selbst Obdachlose haben oftmals ein Schild mit ihrer Handynummer vor sich stehen. Über einen Dienst ähnlich wie PayPal können Passanten so unbar eine Spende hinterlassen. Doch hier gibt es scheinbar nun eine "Rolle rückwärts": Als Ziel von Cyberattacken offenbart ein bargeldloses System Schwächen, ist im Krisenfall wertlos.

Seit der Corona-Pandemie erlebte die kontaktlose Zahlung einen wahren Boom, weil sie praktisch und auch noch hygienisch ist. Doch seit dem offiziellen Ende der Pandemie werden nicht nur wieder fleißig Hände geschüttelt, als gäbe es kein Morgen mehr und trotz massenhafter Positiv-Beispiele die Arbeitnehmer_innen wieder in die Büros zurückzitiert. Nein, auch die kontaktlose Kartenzahlung wurde großflächig wieder zurückgefahren. Manches dauert hierzulande halt länger, bis es sich durchsetzt.

Ein Eiscafé, welches eigene Aufkleber druckt, aber Kartenzahlung für Science-Fiction hält - genau mein Humor - Quelle: Netzfundstück

Wie hat Griechenland die Wende geschafft? Seit 2024 müssen Händler und Dienstleister in allen Branchen Kartenterminals vorhalten, vom Taxifahrer über den Markthändler bis zum Handwerker, Rechtsanwalt und Arzt. Die Terminals sind in Echtzeit über Internet oder Mobilfunk mit der zentralen Steuerbehörde AADE verbunden. So entgeht dem Fiskus keine Transaktion. Außerdem gilt in Griechenland für Bargeldtransaktionen eine gesetzliche Obergrenze von 500 Euro.

Ich hätte da ja nen Vorschlag für Berlin, aber dann höre ich sie schon wieder: "DER STAAT MIT SEINEN VORSCHRIFTEN! GÄNGELEI!!1!". Die griechische 500€-Obergrenze würde für manchen AfD-Politiker auch bedeuten, in einer Transaktion nur noch maximal zwei 200€-Scheine aus den Russlandgeschäften unters Volk bringen zu können.

Kommentare

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