14. April 2024 19:20 Uhr. Ein Moment, welchen wohl die meisten Einwohner_innen Leverkusens nicht vergessen werden. Erst recht nicht, wenn sie Fans der "Werkself" sind. Bayer Leverkusen hat in absolut beeindruckender Weise vorzeitig die Deutsche Fußballmeisterschaft perfekt gemacht. Nicht, weil andere Mannschaften völliges Unvermögen an den Tag legten, nicht mit "Dusel", sondern weil sie in mehreren Dingen Herausragendes leisteten. Bereits im Februar hatte ich gemutmaßt, dass es mal an der Zeit wäre, dass etwas Historisches ansteht.
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Außer Rand und Band - eine Stadt im Ausnahmezustand nach dem Gewinn der ersten Meisterschaft in der 120jährigen Vereinsgeschichte - Quelle: TAZ - © Reuters/Wolfgang Rattay |
Gut Ding will Weile haben
Im Oktober 2022 kam Xabi Alonso, der zuvor lediglich im Jugendbereich von Real Madrid als Trainer unterwegs war und die zweite Mannschaft von Real Sociedad gecoacht hatte, von jenem Verein in seiner baskischen Heimat, bei dem er Profi geworden war, nach Leverkusen und löste dort den zunehmend glücklosen Gerardo Seoane ab.
Es brauchte allerdings eine gewisse Zeit, bis sich seine Ideen verfingen: Zum Start gab es ein 4:0 gegen das absurd schwache Schalke 04. Danach folgten sage und schreibe sechs Spiele ohne Sieg, darunter deutliche Pleiten in der Champions League gegen den FC Porto (0:3) und in der Bundesliga bei Eintracht Frankfurt (1:5). Bei Bayern München hätte man nach einer solchen MIsserfolgsserie schon hektische Flecken bekommen und den Trainer ausgetauscht - zwei Mal! Alonso hingegen verpasste der Mannschaft in Leverkusen im laufenden Spielbetrieb ein neues System, stellte von Vierer- auf Dreierkette um. Eine riskante Idee, die aber zu einer Erfolgsgeschichte wurde. Der Spanier kitzelte das Potenzial ausSpielern wie Tah, Edmond Tapsoba, Piero Hincapie und Odilon Kossounou heraus, die in verschiedenen Besetzungen die letzte Kette vor dem Tor bildeten.
Alonso führte die Mannschaft damit aus dem Tabellenkeller (vorletzter Platz in der Bundesliga nach dem 8. Spieltag) in die Europa League... am letzten Spieltag der vergangenen Saison noch mit Glück, als Bayer selbst in Bochum verlor (die letzte Niederlage dieser Mannschaft) und sich Konkurrent VfL Wolfsburg zuhause gegen den Tabellenletzten Hertha BSC blamierte. Doch Platz sechs war nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg nach oben. Da musste ein Julian Nagelsmann bei Bayern schon mit besseren Ausgangspositionen gehen. Womit bewiesen wäre: Veränderungen brauchen Zeit. Hektische (Trainer-)Wechsel, nur weil der kurzzeitige Erfolg ausbleibt, bringen nichts.
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Grafik: Quelle NTV |
Glückliches Händchen bei den Transfers
Victor Boniface kam, Alejandro Grimaldo, Granit Xhaka (Vertrag bis 2028), DFB-Spieler Jonas Hofmann und Nathan Tella. Das sind nur die spektakulärsten Deals und sie alle waren Volltreffer: Stürmer Boniface war bis zu seiner Verletzung nicht aufzuhalten. Grimaldo ist ein genialer Zauberfuß, der nicht mal Ablöse kostete. Xhaka ist der Anführer, unerschütterlich und mit einer beeindruckenden Gewinnermentalität gesegnet. Teils hatten o.g. Spieler selbst den Wunsch nach Leverkusen zu wechseln, lange bevor sich "das Wunder" ansatzweise andeutete und erhielten dort zumeist sogar 5-Jahres-Verträge. Man hat aus vielen Talenten eine Mannschaft geformt. Es gibt nicht nur DEN einen Ausnahmespieler, ohne den sonst gar nichts läuft.
Eines haben sie alle gemeinsam: Allesamt gut auf dem vorwiegend
ausländischen Transfermarkt eingekauft und nicht anderen erfolgreichen
Vereinen ligaintern mit viel Geld "weggeklaubt" und somit direkte
Konkurrenten im Kampf um die Meisterschaft geschwächt. Man denke hier
an das Schalker Eigengewächs Manuel Neuer, den in Dortmund gewachsenen Weltmeister-Torschützen Mario Götze oder "de kölsche Jung" Lukas Podolski...
allesamt bei anderen Vereinen groß geworden und dann sozusagen auf dem
Höhepunkt ihrer Karriere nach München gekauft (und teils später wieder
zu ihren Wurzeln zurückgekehrt). Mats Hummels spielte in seiner
Jugend beim FC Bayern. Nach den ersten Einsätzen in der höchsten
Spielklasse sah damaliger Trainer Ottmar Hitzfeld aber kein Bedarf an ihm. So
wechselte er nach Dortmund, wurde in der Saison 2010/11 Deutscher Meister, mit nur 22 Gegentoren stellte der BVB die mit weitem Abstand beste Defensive der Liga - zentrale Figur: Mats Hummels. Er verteidigte den Titel mit Dortmund im Folgejahr und wurde zudem noch DFB-Pokalsieger. 2012/13 wurde man Vizemeister und war im Endspiel der Champions League. Ab 2014/15 war er Mannschaftskapitän, wechselte dann jedoch 2016 an die Isar.
Das Gegenstück zum "FC Hollywood"
Beim FC Bayern wird sich nach dieser Saison im Sommer so einiges verändern. Achtung: Selbst wenn in der Champions League am Ende doch noch der Titel herausspringen sollte, kann nur schwer von einer erfolgreichen Saison gesprochen werden. Allein diese Feststellung sagt einiges über den Verein und seine Ansprüche aus. In anderen Städten gäbe es tagelang in den Kneipen Freibier, würde man "nur" die Champions League gewinnen. In München gab es in den letzten Jahren einige halbherzige Meisterfeiern - Gewohnheit relativiert. In Leverkusen waren die Fans bereits beim Treffer zum 4:0 kaum vom Stürmen des Platzes abzuhalten. 1997 stieg der 1. FC Kaiserslautern aus der zweiten Bundesliga auf und errang 1998 völlig überraschend (zum ersten Mal für einen Aufsteiger) die Meisterschaft - die Pfalz stand wochenlang Kopf. In München brachte die laufende Spielzeit hingegen (zu) viele Enttäuschungen mit sich, zu oft die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann. In der Bundesliga hat der FCB schließlich sein Meisterabo verspielt, aus dem DFB-Pokal ist er bereits in der zweiten Runde ausgeschieden (gegen Saarbrücken!) und selbst das Supercup-Spiel zum Saisonauftakt gegen RB Leipzig ging verloren. Nachdem also Trainer Tuchel weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, sucht man nun bereits nach einem neuen Heilsbringer. Und was kann der FC Bayern perfekt? Erfolg kopieren. Soll heißen: Man investiert Geld und kauft Talente weg. So war es nicht verwunderlich, dass die Bayern Interesse am Leverkusener Erfolgstrainer zeigten. Doch Alonso winkte ab und erteilte den Bayern eine Absage, ebenso wie Liverpool - er bleibt auch nächste Saison in Leverkusen. Vermutlich auch weil er weiß, dass der Trainerstuhl in München gerne zum Schleudersitz mutiert. Sieben Trainer in acht Jahren wurden an der Säbener Straße verschlissen - rund alle 65 Spiele ein neuer Trainer, ein neues Konzept, auf das sich die Spieler einstellen müssen. Jetzt besinnt sich der FC Bayern plötzlich zurück und möchte offensichtlich Julian Nagelsmann zurückholen. Fraglich, ob er sich das (erneut) antun möchte. Im Februar 2024, als Leverkusen das direkte Duell gegen München für sich entschied, konnte sich der jetzige Bundestrainer eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. Grund: Rund elf Monate zuvor feuerten die Münchener Nagelsmann nach einer 1:2-Niederlage gegen Leverkusen - Bayern rutschte damit auf (Achtung!) Platz Zwei der Tabelle ab 😲!
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Geradezu gesittet der Gewinn der zehnten Meisterschaft hintereinander beim FC Bayern |
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Man hat da mal was vorbereitet... - Fotos: Allianz-Arena.com |
Leverkusen: Von Rekord zu Rekord
Nicht nur, dass man die Meisterschaft vorzeitig perfekt machte, am 29. Spieltag (früher war nur der FC Bayern dran: Einmal am 27. Spieltag anno 2014, einmal am 28. im Jahr 2013). Sie besiegten im eigenen Stadion, mit einer Gala-Vorstellung Werder Bremen (welche im Januar noch Bayern München in der eigenen Arena mit 0:1 blamiert haben). Dann gibt es noch das Finale im DFB-Pokal, wo gegen Leverkusen mit dem Zweitligisten Kaiserslautern eine durchaus machbare Aufgabe wartet und das Tor zum Champions-League-Halbfinale steht ebenfalls weit offen. Das sonst oft von den Bayern fest gebuchte "Triple" ist also durchaus möglich für das Team vom Niederrhein (von "Vizekusen" zu "Triplekusen"?). Und dann gibt es da noch die Sache mit der ungeschlagenen Bundesliga-Saison. Es wäre ein Fabel-Rekord, den noch keine deutsche Mannschaft geschafft hat - nicht mal Bayern München: Die Liga ohne Niederlage beenden. Nach dem Meister-Sieg gegen Bremen hat Bayer bereits die europäische Bestmarke seit der Jahrtausendwende von Juventus Turin aus den Jahren 2011 bis 2012 (43 Spiele) eingestellt. Der nationale Rekord wurde bereits nach dem 16. Spieltag geknackt: Da hatte Bayer 04 Leverkusen das 25. Pflichtspiel (DFB-Pokal- und Europa League-Pflichtspiele mit einbezogen) in Folge ohne Niederlage bestritten und damit den vom Hamburger SV seit der Saison 1982/83 bestehenden Rekord von 24 Spielen in Folge ohne Niederlage gebrochen.
Die Sache mit dem Rathaus-Balkon bzw. der standesgemäßen Meisterfeier wird sich sicher noch regeln lassen. Was man jedoch neidlos anerkennen muss, ist, dass hier eine Mannschaft, die eine beeindruckende Saison gespielt hat, völlig zurecht und verdient gewonnen hat und es somit endlich mal wieder etwas Abwechslung in der Fußball-Bundesliga gab. Denn: Nach einer Rekordpause von 15 Jahren kann die Fußball-Bundesliga wieder einen Meister-Debütanten feiern. Bayer Leverkusen ist erst der 13. Verein, der die Schale holen kann - und der erste Meister-Neuling seit dem VfL Wolfsburg 2009. Kurios: Nach sieben verschiedenen Meistern in den ersten sieben Bundesliga-Spielzeiten gab es in den 54 Jahren danach nur noch sechs "neue" Titelträger.
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Grafik: Quelle NTV |
GLÜCKWUNSCH LEVERKUSEN!
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