Die Mobilitätswende muss her. Man will vom Auto weg, hin zur Schiene... schon allein, weil wegen dem Klima und so.. eigentlich. Wäre da nur nicht das, mehrere Jahrzehnte vernachlässigte, Schienennetz der Deutschen Bahn. Ja, Bahnfahren ist wirklich kein Vergnügen - wenn der Zug mal (pünktlich) kommt, dann ist er womöglich oder gar mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht sonderlich sauber (Zugtoiletten insbesondere haben ja einen eher "speziellen" Ruf), weil überfüllt also voll mit (Mit-)Menschen, die - abhängig von Tag/Uhrzeit - ebenfalls "voll" sein können und/oder sich teils zu sehr "wie zu Hause" fühlen und beispielsweise lautstark telefonieren, beim Einnicken auf der eigenen Schulter landen, geruchsintensive Speisen zu sich nehmen ("klatsch", halber Döner auf dem Sitz oder zumindest auf dem Fußboden - egal!), die Schuhe ausziehen, Füße hochlegen, Fußnägel schneiden (https://www.jetzt.de/gutes-leben/ueber-den-unterschied-zwischen-oeffentlichkeit-und-zuhause) - man kennt das. Beziehungsweise manche auch nicht wirklich. Wenn man z.B. auf dem Land wohnt, dann kennt man das alles mehr vom Hörensagen. Denn auf dem Land fährt man nicht wirklich ÖPNV, denn... es fährt... kaum ÖPNV. Hintergrund: Die Bahn ist kein Staatskonzern (mehr). Sie ist ein Privatunternehmen, genauer eine Aktiengesellschaft und muss (für die "Shareholder") Gewinne erwirtschaften. Das kann sie aber primär nur im Fernverkehr: Die entsprechende Sparte "DB Fernverkehr AG" hatte lt. Wikipedia beispielsweise gem. dem Geschäftsbericht 2018 den Gewinn im Vergleich zum Vorjahr 2017 z.B. um 27 Mio. auf 393 Mio. Euro gesteigert. Im Nahverkehr macht sie jedoch in der Regel Minus, weshalb sie das Geschäft über viele Jahre zurückgefahren (unrentable Strecken stillgelegt) bzw. ausgegliedert, sprich an andere Anbieter vergeben hat.
Da gab es einen Beitrag einer Nutzerin auf Instagram, in dem sie veranschaulichte, wie sie von ihrem Dorf in die nächstgrößere Stadt kommen kann. Mit dem Auto (das sie nicht hat) wären es in südöstlicher Richtung lediglich rund 20 Minuten. Mit dem ÖPNV soll sie lt. Google zunächst mit dem Rad (!) zum Bus (!), der fährt sie zunächst Richtung Nordosten in die (andere) nächstgrößere Stadt, hat dort eine längere Wartezeit auf den Anschlusszug, welcher dann in (glaube ich) Koblenz ankommt. Dort wieder umsteigen (mit weiterer Wartezeit) in einen anderen Zug nach Westen (also praktisch wieder Richtung Heimat) und schon nach über sechs Stunden kommt man am gewünschten Ziel an, hat eine schöne Rundfahrt gemacht und viel gesehen und erlebt (Beispiele s.o.). Jetzt müsste man aber bald auch wieder nach Hause - schafft man das noch taggleich? Vielleicht doch lieber mit Übernachtung buchen. Einzelfall? Mitnichten, wie "Monitor" hier (https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-odyssee-auf-dem-land-eine-irrfahrt-mit-dem-oepnv-100.html) berichtet: Der Ausflug aus dem bayerischen Kallmünz ins 6km entfernte Nachbardorf (das eigentlich im gleichen Verkehrsverbund liegt, aber es gibt schlicht keine Verbindung) mit dem Bus erfordert zunächst eine Fahrt ins entgegengesetzte Regensburg. Von dort wieder Richtung Norden nach Burglengenfeld, dort nach zwei Stunden erneut umsteigen (in den Schulbus) zum Ziel Dietldorf. Nach drei Stunden und verschiedenen Fahrscheinen in Summe 11,90 Euro - und das auch nur, weil die Testperson im Schulbus umsonst mitfahren durfte, denn dort gibt es nur Zehnerkarten - zu Fuß wäre man schneller und billiger. Aber bei Stadt vs. Land ist es der allseits bekannte Teufelskreis: Keine Nutzung, weil kein Angebot. Kein Angebot, weil keine Nachfrage. Was war zuerst da?? Henne oder Ei?
Egal, wenn kein Zug fährt, fährt man halt (Fern-)Bus. Immerhin gibt es ja diese schöne Veranschaulichung, mit einer ganzen Straße voller Autos oder allen 60 Personen, die in nur einen Bus passen. Ist ja auch viel umweltfreundlicher.
Hatte man dort doch vor einiger Zeit den Markt liberalisiert. Kleiner Rückblick: Nach dem zweiten Weltkrieg betrieben die Deutsche Bundesbahn den "Bahnbus" und die Deutsche Bundespost die "Kraftpost". Die Bahn war damals auch schon schneller und komfortabler, aber auch teurer. Mit gestiegenem Wohlstand und der stärkeren Verbreitung des Autos sank der Bedarf und bis 2012 durften neue Fernbuslinien nur dann eingerichtet werden, wenn sie keine Konkurrenz zur Bahn darstellten. Ab 2013 (mit der Liberalisierung) verkehrten dann u.a. "DeinBus", "MeinFernbus", "Postbus" (ein Joint-Venture von ADAC und der Post) und "Flixbus". Letzterer bleib praktisch als einziger Überlebender des Preiskampfs übrig. Und das merkt man dann auch: Will man heute z.B. von Berlin nach München, kann man um 15:10 Uhr abfahren und ist nur 7:20 Stunden später und 74,99 Euro ärmer in München. Verpasst man den Bus, kann man noch um 15:23 Uhr in Berlin mit dem "Flixtrain" starten, steigt dann in Heidelberg in den "Flixbus" um und ist unwesentlich später nachts um 02:35 Uhr in München - für nur 96,98 Euro. Mit der Bahn käme man in nur knapp 4h aber für rund 150 Euro nach München. Beide Varianten als "Spontanfahrt", also nix mit "Sparpreis", o.ä.. Halten wir fest: Fernbus - gut gedacht, aber eher was für "Nostalgiker", mit viiiiel Zeit.
Und nun hat jüngst der Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr, Staatssekretär Michael Theurer (FDP), mitgeteilt, dass es mit dem Plan, bis 2030 den Deutschlandtakt bei der Bahn einzuführen, leider nichts wird. Es wird ein wenig länger dauern... ein sehr viel wenig länger. Neues Ziel: 2070! https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/bahn-deutschlandtakt-101.html
Das ist kein Schreibfehler. ZWANZIG SIEBZIG!!! Das ist in 47 Jahren! Da bin ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mal mehr auf dieser Erde zugegen! Unser Sohn wird dann 61!!!
Die Bahn braucht also (noch weitere) 47 Jahre, um den Deutschland-Takt hinzubekommen. Schauen wir mal zurück, was war denn vor 47 Jahren bzw. was hat man alles in dieser Zeit geschafft? 1976: Steve Jobs gründet in diesem Jahr Apple - Jobs ist nicht mehr und mittlerweile gibt es das iPhone 15 - FÜNFZEHN! Mobil telefonierte man 1976 im B-Netz (und dann auch nur einige wenige von uns), was dann vom C-, D- bzw. E-Netz und das wiederum von UMTS, LTE(+) und 5G abgelöst wurde - sechs Innovationssprünge! Heute kommen 134 Mobiltelefone auf 100 Deutsche. Lieferten Teleskope in den 70er Jahren lediglich schwammige Bilder von entfernten Galaxien, bieten sie heute gestochen scharfe Fotos (praktisch wie mit dem iPhone15 geschossen). Damals fuhr man noch mit verbleitem Benzin! In der Zeit hörten wir Musik erst mit Platten oder über den Walkman, dann über CD's, dann mit dem MP3-Player und heute streamen wir beinahe ausschließlich. In diesem Zeitraum wurden (u.a.) der Klettverschluss, mikroprozessorgesteuerte Kniegelenke und das Internet erfunden. Ganz früher hat man in einem (knappen) halben Jahrhundert zwei Weltkriege erlebt und wenn man heutzutage in die Glaskugel blickt, dann ist im Grunde alles über zehn Jahren pure Kaffeesatzleserei. 2001 ließ man Wladimir Putin im Bundestag eine Rede halten - da konnte sich wohl kaum jemand vorstellen, dass er 13 Jahre später die Krim annektiert oder weitere sechs Jahre später den Angriffskrieg gegen die Ukraine anzettelt.
Zurück zum Thema: Mobilitätswende. Klimaschützer fordern mehr Geld in den Schienen- oder auch den Fahrradverkehr zu stecken. Nebenfrage: Warum ist Kerosin immer noch gänzlich von der Mineralölsteuer befreit? 2024 wird die Rekordsumme von 8,94 Milliarden Euro in den Straßenverkehr gepumpt. Zum Vergleich: 2003 waren es knapp halb so viel. Und in den Folgejahren wird das Niveau seit 2020 grob gehalten (stets mehr als 8 Milliarden). Die Deutsche Bahn kündigte 2022 eine Modernisierungsoffensive an: Bis 2030 will die Bahn mehr als 19 Milliarden Euro in neue Lokomotiven und Züge stecken und könnte somit theoretisch monatlich drei neue ICE auf die Gleise bringen. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bahn-investitionen-fahrgastzahlen-101.html
19 Milliarden in rund sieben Jahren. Das hat die Straße in drei Jahren übertrumpft. Die Bahn wird also vermutlich weiterhin im Sommer schwitzen, weil sich Klimaanlagen ab 30 Grad automatisch abschalten und im Winter wird man zu spät kommen, weil es (welch Wunder im Winter) ab und zu schneit (in den 60ern war das noch kein Problem für die Bahn - da hat man sogar aktiv damit geworben: https://www.youtube.com/watch?v=wvJAAzfK3Rk - "wir fahren immer!", hach ich bekomme mich gerade nicht mehr ein - was ist seitdem bloß passiert?). Und natürlich gilt jeder Zug, der max. sechs Minuten Verspätung hat, immer noch als pünktlich. In Japan werden die Lokführer darauf trainiert, die Züge auf die Minute oder gar Sekunde genau zu steuern - selbst für eine Minute Verspätung entschuldigt man sich. Und auch die japanische Bahn ist ein kompliziertes Geflecht aus vielen verschiedenen Anbietern. Okay, man muss auch zugestehen: Die Japaner haben die hohe Pünktlichkeit z.B. des Hochgeschwindigkeitszuges Shinkansen neben der hervorragenden Technologie und der guten Wartung dem Umstand zu verdanken, dass das Shinkansen-Netz vom Nah- und Güterverkehrsnetz getrennt und fast durchweg eingezäunt ist.
Und: Zwischen 1 Uhr nachts und 4 Uhr 30 morgens ruht der Verkehr. Dann rollen lange Bauzüge auf die Trassen und reparieren Schienen und Weichen. Tagsüber ermitteln Sensoren in regulären Zügen die Schwachstellen der Gleise. Sanierungsbedürftige Abschnitte werden dann nachts neu gebaut bzw. ausgebessert, auch wenn es jeweils nur wenige Meter sind.
In Japan wäre es undenkbar, Strecken für Monate stillzulegen, wie es etwa die Deutsche Bahn macht. Eine solche Missachtung ihrer Kunden würden sich japanische Eisenbahner nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen vorstellen. https://taz.de/Japan-ist-Vorbild-beim-Bahnverkehr/!5783785/
Auf der Tokaido-Linie, die Tokio in zwei Stunden und exakt 24 Minuten mit dem 515 Kilometer entfernten Osaka verbindet (Vergleich: Berlin - München sind etwa 585km - >4h Bahnfahrt!), fahren täglich 256 Züge im Zehn-Minuten-Takt, einige sogar mit nur drei Minuten Abstand. Und befördern jährlich mehr als fünf Milliarden Passagiere. https://www.sueddeutsche.de/reise/bahnreise-in-japan-54-sekunden-zu-spaet-eine-schande-1.3787387. Stichwort Sauberkeit: In Japan steht kurz nachdem der Zug in den Bahnhof eingefahren ist, eine Reinigungskraft an den Türen parat und hält (nach entsprechender Verbeugung) den Fahrgästen einen Beutel hin, in welchen diese wiederum ihren Müll entsorgen. https://www.deutschlandfunkkultur.de/japan-bahn-zug-puenktlichkeit-100.html. Es ist halt einfach auch eine andere Disziplin/Kultur. Bei der WM in Katar 2022 räumten die japanischen Fans nach dem Sieg gegen das deutsche Team das Stadion auf
Wo waren wir? Ach ja, Mobilitätswende! Kommen wir mal zum Punkt.
Das Deutschlandticket wird übrigens von vielen als "zu teuer" erachtet. Nunja, das hätte man sich aber auch denken können, dass das 9-Euro-Ticket alles andere als kostendeckend arbeitet. Man verspricht sich also keinen sonderlichen Effekt für die Zukunft - manche Zeitkarten-Nutzer wird es freuen, für sie wird es meist etwas günstiger. Aber "Spontanfahrer" werden wohl keine 49 Euro Monat für Monat investieren, gleichwohl sie umgerechnet für unter 2 Euro am Tag quer durch die Republik fahren könnten.
Und oben redeten wir jetzt ja nur vom "Deutschland-Takt", der nicht 2030 sondern halt 2070 kommen soll, also von regelmäßigeren, pünktlichen, abgestimmten Verbindungen. All die anderen Probleme, wie Zugausfälle, Sauberkeit, Bezahlbarkeit usw. sind ja noch andere Baustellen "on top". Es wird also noch ein paar Jahrzehnte weiterhin Hohn und Spott wie dieser auf die Mitarbeiter_innen der Bahn niederprasseln: https://www.youtube.com/watch?v=wXjhszy2f9w. Und bereits in den 90er-Jahren hatte man insbesondere das Tarifsystem der Bahn satirisch auf Korn genommen: https://www.youtube.com/watch?v=81AFFkNvZAs. Und um noch einen letzten Kalauer zu bedienen: Bis 2070 können wir also noch sehr oft das Reisen in vollen Zügen genießen.
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