"Oooooh Großbritannien", so begann das Intro der Sketch-Show "Little Britain", welche aus einer Ansammlung kurzer Sketche über die alltägliche Exzentrik der Briten bestand. Es wurde dann stets (mit einem gewissen Augenzwinkern bis Sarkasmus) über die Größe, Errungenschaften und Personen jubiliert, die das Königreich hervorzuzeigen hat. Ja, britischer Humor ist so bekannt und berüchtigt wie das Wetter oder die Küche auf der Insel.
Mit Blick auf den vor über drei Jahren vollzogenen Austritt aus der EU, wofür vor rund sieben Jahren eine Mehrheit gestimmt hatte, kann man diesen Ausruf nun mit einer gewissen Portion Wehmut, ja sogar Mitleid tätigen "Ooooh Großbritannien!".
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Großbritannien pfeift auf dem letzten Loch - Bild: Collage |
Am 23.06.2016 stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 72,2% eine Mehrheit von 51,89% der Wähler_innen für den Austritt. Und am Folgetag konnte es kaum jemand so recht glauben - die restlichen 48,11% ebensowenig, wie der Rest Europas. Sie haben es tatsächlich getan. Vorausgegangen war ein heißer Kampf der Befürworter, also die einen für den Austritt, die anderen für den Verbleib in der EU. Für den Brexit waren in erster Linie Konservative und Nationalisten. Allen voran Premier David Cameron, Boris Johnson (seinerzeit Bürgermeister von London) und Nigel Farrage, der Typ, der auf kaum einem Foto normal gucken konnte.
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Nigel Farrage - der Typ mit dem irren Blick - Quelle: SZ.de |
Die zentrale Message der Brexit-Anhänger war, dass GB wöchentlich (!) 350 Mio. Pfund an die EU zahlen würde und man das Geld durch einen Austritt doch besser in das nationale Gesundheitswesen (NHS) stecken sollte. Das wurde dann sogar mehr oder weniger dezent auf einen Bus geschrieben, der dann wochen-, monatelang durch das Land fuhr. Hintergrund: Seit dem strikten Sparkurs, den die Regierung von David Cameron dem Land vor rund einem Jahrzehnt auferlegt hat, fehlte dort an allen Ecken und Enden das Geld. Viele Patienten beklagten sich über lange Wartezeiten, überfüllte Arztpraxen und Krankenhäuser. Die Vote-Leave-Aktivisten trafen daher mit ihrer Botschaft einen wunden Punkt. Und ihre Strategie ging offenbar auf: Nach dem EU-Referendum erklärten viele Briten, dass sie für einen Brexit gestimmt hätten, damit mehr Geld in den NHS fließen könne.
Das Ganze hatte jedoch einen Haken: Kritiker hatten schon damals darauf hingewiesen, dass die Behauptung, London überweise jede Woche 350 Millionen Pfund an die EU, falsch war. Rechnet man den sogenannten "Britenrabatt" heraus und die EU-Subventionen, die nach Großbritannien zurückkommen, dann hat das Land zwischen 2010 und 2014 nur rund 170 Millionen Pfund pro Woche an die EU gezahlt, also weniger als die Hälfte die der Wahlkampfbus propagierte.
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Der Lügen-Bus - Quelle: SZ.de |
Aber wie das so ist im Leben: Populisten stellen eine markante Behauptung in den Raum. Durch wiederholtes propagieren bekommt sie irgendwann so etwas wie Glaubwürdigkeit ("das hat man schon so oft gelesen, da muss etwas Wahres dran sein") und wird dann auch nicht hinterfragt. Danach wollte Farrage übrigens nie etwas davon wissen, während Boris Johnson im Nachhinein meinte, die 350 Mio. wären sogar noch untertrieben. Fakten sind für Populisten, wie Knoblauch für Vampire.
Nach zähem Verhandeln über das "wie" erfolgte er auch 2020: Der Brexit. Großbritannien war nach knapp drei Jahrzehnten kein Mitglied der Europäischen Union mehr. Und dann? Wurde dann alles besser für die Briten? Mitneffen, äh -nichten. Wir erinnern uns noch an die Bilder mit den vollen Tankstellen (die keinen Sprit mehr hatten) und die leeren Supermarktregale? Da trat schon mal der erste Dominoeffekt ein:
Und sonst? Die Konsequenzen aus dem Brexit sind alles andere als rosig:
- Die Zinsen für Immobilienkredite in GB liegen bei über 6% - in Irland hingegen bei ungefähr 4,5%
- Die Inflation liegt bei 8,7 Prozent - die der EU nur bei 6%
- Großbritanniens Exporte in die EU sind 23% niedriger und die Importe aus der EU 13% niedriger als sie es wären, wenn das Land noch EU-Mitglied wäre
- War Großbritannien vor dem Brexit noch fünftwichtigster Handelspartner Deutschlands, ist das Königreich jetzt nicht einmal mehr unter den Top Ten
- Das zeigt sich sogar im Kleinen für den Verbraucher: Möchte man von DE ein (5kg) Paket nach Irland schicken, dann kostet das 15,99 Euro - nach Großbritannien sind es stolze 26,99 Euro.
- Die unabhängige britische Aufsichtsbehörde OBR geht davon aus, dass die Produktivität im Land langfristig vier Prozent niedriger sein wird als es ohne Brexit der Fall wäre
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Wunsch und Wirklichkeit |
- In der Alltagssprache wird das Vereinigte Königreich (bzw. verkürzt UK oder Britain) vereinfachend als England bezeichnet. Jedoch stellt England in seiner eigentlichen Bedeutung nur den größten Landesteil dar, während Großbritannien die Hauptinsel der Britischen Inseln bezeichnet, auf der nur die Landesteile England, Schottland und Wales liegen. Also: "Great Britain" oder zu Deutsch Großbritannien, meint die Union aus drei Landesteilen: England, Wales und Schottland.
- Das "United Kingdom" oder "Vereinigte Königreich" schließt dann noch Nordirland ein (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland ).
- Und das "Commenwealth", konkreter das Commonwealth of Nations, ist eine lose Verbindung souveräner Staaten, die in erster Linie vom Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland und dessen ehemaligen Kolonien gebildet wird (also u.a. Kanada und Australien).
Zurück zum Thema: Schottland möchte also raus aus der einen Union (dem United Kingdom) und lieber in der anderen (europäischen) mitspielen. Möchte also sozusagen einen "Scexit" (Kofferwort für "Scotland" und "exit"). Vor fast zehn Jahren beim letzten Referendum war die Welt noch eine andere - da stimmten rund 54% gegen eine Loslösung von GB. Auch das seit 1921 geteilte Irland denkt über eine Wiedervereinigung mit Nordirland nach, das seit dem Brexit eine EU-Außengrenze hat. Selbst Australien und Neuseeland sowie Kanada denken über einen "Austritt aus der Monarchie" nach. Barbados hatte 2021 den Anfang gemacht und ist zu einer Republik geworden. GROSSbritannien könnte sich also mit der Zeit wahrlich zu "KLEINbritannien" entwickeln, womit wir wieder bei "little Britain" wären.
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Quelle: Tagblatt.ch - |
Übrigens: Das Motto der UKIP (UK Independence Party - eine EU-skeptische und rechtspopulistische, gelegentlich auch als radikalliberal bezeichnete Partei), dessen Parteiführer Nigel Farrage seinerzeit war, lautete ja "we want our country back" - wir wollen unser Land zurück. Andere (populistische) Parteien schreiben sich denselben, leicht abgewandelten Spruch auf die Fahnen bzw. Wahlplakate:
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Quelle: RBB24 inforadio.de |
Die AfD hat sich binnen rund zehn Jahren auch von einer konservativ-euroskeptischen zu einer aggresiv-rechtspopulistischen Partei gewandelt.
Für die Briten hat der Brexit nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen: Der EU-Austritt hat das Land auch politisch verändert. Politikprofessor Tim Bale von der Queen Mary University in London hat gerade das Buch "The Conservative Party After Brexit" veröffentlicht. Er spricht von Ideologie und von Attacken auf demokratische Institutionen und kommt mit Blick auf die Konservative Partei zu dem Schluss: "Sie ist wirklich populistischer geworden. Die konservative Partei hat immer mit dem Populismus geliebäugelt, aber nach dem Brexit hat sie den Populismus komplett verinnerlicht."
Dass die Torys nach dem Abgang von Boris Johnson wieder zu einem seriösen konservativen Stil zurückfinden werden, glaubt Bale eher nicht: "Der Geist ist aus der Flasche gelassen, und es wird den Konservativen nicht gelingen, ihn wieder einzufangen. Und da die Regierung große Schwierigkeiten haben wird, die nächste Wahl mit dieser Wirtschaftslage zu gewinnen, wird sie versucht sein, den Kulturkampf anzuheizen, genauso, wie Boris Johnson das getan hat."
Dem Begriff Populismus werden von Sozialwissenschaftlern mehrere Attribute zugeordnet. Charakteristisch ist eine mit politischen Absichten verbundene, auf Volksstimmungen gerichtete Themenwahl und Rhetorik. Dabei geht es einerseits um die Erzeugung bestimmter Stimmungen, andererseits um die Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen zu eigenen politischen Zwecken. Oft zeigt sich Populismus auch in einem spezifischen Politikstil und dient als Strategie zum Machterwerb. Zu Deutsch: Sie suchen keine Lösungen und sind meist auch nicht daran interessiert. Der langjährige Pressesprecher der AfD sagte seinerzeit: Je schlechter es Deutschland geht, umso besser für die AfD". Populisten suchen keine Lösungen für die Probleme, sondern meist nur Schuldige. So war es auch im dunkelsten Kapitel dieses Landes.
Wenn in schwierigen Zeiten mit Unwahrheiten auf Stimmenfang gegangen wird, hat das am Ende selten bis nie einen guten Ausgang. Wie sagte George Santayana (1863-1952): „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt/verurteilt, sie zu wiederholen.“
P.S.: Und die berühmt-berüchtigten 350 Millionen Pfund pro Woche, die nach einem Brexit angeblich für den NHS frei werden sollten? Die hielten im Jahr 2019 satte 83% der Befragten Briten für eine bewusste Lüge.
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