Wie es so Brauch ist, schalmeit es am Jahresanfang tagelang durch alle sozialen Bereiche des Lebens "Frohes Neues!", "Frohes neues Jahr!", "FRO-HES NEU-ES!!!". Ich kann es nicht mehr hören. Und vermutlich wird das Grauen bis Mitte Januar so weitergehen, in Einzelfällen. Dabei wissen wir im Grunde jetzt schon: Das Jahr wird scheiße! Machen wir uns nichts vor.
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Was hat die Stadt in NRW mit dem Jahreswechsel zu tun? |
Jedes Jahr sagt man, meist kurz vor dem Jahreswechsel, zu sich selbst (oder je nachdem, ob man es ernst meint oder nicht, auch zu anderen): "Nächstes Jahr wird alles besser!". Ich lache immer noch... seit Jahren. Und im Grunde soll der Ausruf zu Jahresbeginn ja auch nichts anderes implizieren. Man wünscht den anderen nichts als das Beste, ein frohes (neues) Jahr eben.
Es ist aber etwas anders, dieses Jahr... zumindest in meinem Gefühl. Noch niemals zuvor hatte ich zu Jahresbeginn das Gefühl, meinen Mitmenschen mit diesem Ausruf so derartig dreist ins Gesicht lügen zu müssen. Ich meine, nicht dass wir uns falsch verstehen, ich wünsche wirklich niemandem etwas Schlechtes (okay, vielleicht nur sehr wenigen), aber in dem Wissen, dass das neue Jahr mit verdammt hoher Wahrscheinlichkeit nichts, bzw. nicht wirklich viel Gutes bringen wird, kann ich ehrlich nicht den Leuten ins Gesicht lügen. Sorry.
Der Klimawandel - mittendrin statt kurz davor
Hochwasser in weiten Teilen Deutschlands und den Niederlanden, während eine Kältewelle mit Temperaturen bis zu minus 43°C Teile Skandinaviens lahmlegt, Brasilien jedoch gefühlte Temperaturen von 58°C durchmacht. Erdbeben in Japan, ... hat irgendjemand noch ernsthaft Zweifel am Klimawandel?
Die Welt ist ein Pulverfass
Der Krieg in der Ukraine geht bald in sein drittes Jahr. DAS DRITTE! Seit mehreren Monaten eskaliert der Nahost-Konflikt, die Gegend entwickelt sich zum Pulverfass. China wird nicht müde, Taiwan weiter zu provozieren. Von allen anderen Krisenherden, die medial wenig bis kaum noch Aufmerksamkeit geschenkt bekommen, mal ganz abgesehen. Es scheint als fehle nur jemand, der mit einem brennenden Streichholz in den Tank schaut, wie viel Benzin noch drin ist.
Braune Kläffer erstarken
In den USA wird eine zweite Amtszeit Trump aufgrund der Streichung bei den Vorwahlen in einigen Bundesstaaten zumindest unwahrscheinlich, ist aber dennoch nicht 100%ig auszuschließen und für den Fall seines Sieges hat er bereits angekündigt, die USA in eine Diktatur umbauen zu wollen. Die Niederlande und Argentinien erleiden einen Rechtsruck - wobei, warum "erleiden"? Die Menschen in Argentinien beispielsweise haben mehrheitlich Javier Millei aus freien Stücken zum Präsidenten gewählt. Einen Mann, der mit vier geklonten Hunden zusammenlebt und sich „Anarchokapitalist“ nennt. Millei will, unter anderem, den Verbraucherschutz komplett abschaffen, das Mietrecht lockern und das Versammlungsrecht verschärfen. In Italien regiert Giorgia Meloni, die Fan des Faschisten Mussolini ist. In dem Zusammenhang denke ich über die Wähler von Marine Le Pen in Frankreich nach, die von Viktor Orbán in Ungarn. Wie sagt ein altes Zitat: Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient [Joseph de Maistre (1753 - 1821), französischer Philosoph].
Vielerorten strebt man einen neuen Nationalismus an. Meint, dass man es alleine besser schafft. Das "ich" wird stärker, als das "wir". Quid demonstrandum... prominentestes (Gegen-)Beispiel: Das vereinigte Königreich. Hat ja super geklappt mit dem "Brexit".
Halten wir erst einmal ganz grob fest: Eigentlich strebt der Mensch danach, dass es ihm besser geht. Im Moment scheint es aber, dass es vielen Menschen reicht, wenn es anderen schlechter geht. Dass sie sich dann besser fühlen, das ist eine schlimme Tendenz. Da fängt im Grunde Faschismus an.
Eigentlich müssten wir (zumindest sehr, sehr viele von uns) rückblickend auf 2023 sagen: Wir waren immer satt, hatten immer genug zu trinken, haben ein Dach über dem Kopf, einen Job, waren nur selten krank und leben noch - geiles Jahr! Eigentlich...
Gerade jetzt zum Jahreswechsel gab es wieder unendliche Debatten. Zum einen über Weihnachtsbäume und Leitkulturen. Andererseits arbeiteten über Weihnachten und Silvester unter anderem Menschen mit Migrationshintergrund in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Polizei, Feuerwehren und und und, damit andere feiern können. Wurde es ihnen gedankt? Ich fürchte nur selten, zu selten.
By the way: Ich habe eine tolle Idee, wie wir die dämliche Böllerei ein für alle Mal reduzieren... wir pappen auf alle Feuerwerkskörper einen Aufkleber mit der Aufschrift "vegan" drauf! Aber auch 2024 wird wohl wieder am 28.12. die Diskussion darüber eröffnet und gleichwohl über 2/3 für ein Böllerverbot sind, wird es genug geben, welche die Meinung vertreten bzw. gefühlt laut genug schreien "sich das nicht auch noch nehmen lassen zu wollen!" dass man sich wieder nicht traut.
An Silvester feiert die ganze Welt, dass sich das Datum ändert. Ich hoffe, irgendwann feiern wir das Datum an dem sich die Welt geändert hat.
Und dann ist da natürlich das leidliche Thema Politik. Im Kleinen wie im Großen. Da sind die Bauern, die wegen der Besteuerung des Agrardiesels auf die Barrikaden gehen. Da ist die Gastronomie, die wegen der (stets angekündigten) Wieder-Anhebung des Mehrwertsteuersatzes fürchtet, dass die gesamte Branche bankrott geht, gleichzeitig wird die Forderung nach einem Mindestlohn von über 15 Euro laut. Und das sind nur zwei Beispiele, es gibt noch eine ganze Reihe mehr. Überall, wo etwas in Schieflage gerät, wird heutzutage der Ruf nach "der Politik" laut, "die da mal was machen muss".
Wenn der Staat nicht 81 Millionen individuelle Rettungsschirme parat hat und mittels Fingerschnipp Wohlstand und Zufriedenheit für alle zaubern kann, dann ist man als Politik ganz schnell am Arsch.
In Frankreich oder den USA ist die Demokratie alt und schien lange stabil, in Argentinien gab es eine Diktatur, blutiger als die der DDR. Ungarn hat wie Ostdeutschland den Sozialismus hinter sich. Und überall sind populistische Politiker erfolgreich, vor allem rechte Populisten. In Indien wird in diesem Jahr auch gewählt, der Premierminister und Nationalist Modi liegt vorn. In Weißrussland hat sich Diktator Lukaschenko lebenslange Immunität gesichert. Hierzulande will neben Sarah Wagenknecht nun auch noch Hans-Georg Maaßen mit der "Werteunion" eine neue Partei gründen. In den sozialen Medien rufen gewisse Gruppen zum "Generalstreik" auf, der das gesamte Land lahmlegen soll, um "der Ampel das Licht auszuknipsen", eine aufgebrachte Menge hinderte Vizekanzler Habeck daran, von einer Fähre an Land zu gehen... Leute, wir haben gerade mal den 5. Januar!
Ich kann durchaus nachvollziehen, wenn Leute müde sind von Politik. Unabhängig davon WÄHLT MAN ABER KEINE NAZIS! NIE-MALS! Man wählt Parteien, die was anbieten, was einer logischen und demokratischen Lösung der Probleme am nächsten kommt. Einfache Lösungen für komplexe Probleme gibt es einfach nicht. Nazis bieten vermeintlich einfache Lösungen:
Im Wahlkampf hatte Hannes Loth (AfD), Bürgermeister von Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt, noch großspurige Versprechen gemacht: Sein Landesverband vertrat die Ansicht, dass KiTa-Gebühren abgeschafft werden sollen. Nach seiner Wahl hat der Stadtrat sie um 60% angehoben. Vereine sollten vor der Wahl dauerhaft finanziell unterstützt werden, nun sieht man sich in der finanziellen Realität und möchte die Vereine daher "anderweitig unterstützen, wo es möglich ist". Ah ja. Loth hatte zudem großspurig Investitionen in die Stadt angekündigt, darunter die Sanierung von Feuerwehrhäusern. Aber die harte Realität zwingt ihn zur Kehrtwende. Im Gespräch mit der „SZ“ gestand der 42-Jährige ein, dass der finanzielle Spielraum äußerst begrenzt und die Stadt „rein finanziell pleite“ sei. In diesem Jahr allein beträgt das Defizit in Raguhn-Jeßnitz laut dem Bericht mehr als eine Million Euro (für einen Ort mit rund 9.000 Einwohnern eine stolze Summe) und die Aussichten für die kommenden Jahre sehen noch düsterer aus. Das war vor der Wahl natürlich überhaupt nicht absehbar! Kam alles über Nacht. Auch anderswo sehen sich die Rechtspopulisten in der harten kommunalpolitischen Realität angekommen - Wahlversprechen sind Schall und Rauch. Wählt man Nazis, ist das weder hilfreich, noch "Protest". Man wählt in letzter Konsequenz die Demokratie ab und wer Demokratiefeinden seine Stimme gibt, muss sich darauf einstellen, dass es mitunter die letzte Stimme ist, die man abgeben wird. Die Demokratie darf nicht für diejenigen der Zug sein, die nur auf ihn aufspringen, bis sie am Ziel sind, um ihn dann gegen die Wand zu fahren.
Die AfD in Thüringen ist als gesichert rechtsextrem eingestuft. Die AfD in Sachsen-Anhalt ebenso. Und zuletzt der Landesverband Sachsen. Wir können natürlich noch auf 13 andere Landesverbände warten, aber ich fürchte dann ist es wohl zu spät für unsere freiheitliche Demokratie. In zwei dieser drei Länder (und in Brandenburg) stehen dieses Jahr im Herbst Landtagswahlen an. Überall führt die AfD die Umfragen haushoch an. In allen drei Ländern stehen im Frühjahr/Sommer Kommunalwahlen an. Es würde mich nicht wundern, wenn in den rund acht Monaten bis zu den Landtagswahlen noch ein paar Prozentpunkte dazukommen und mindestens in einem Land die absolute Mehrheit erreicht wird. Man muss sich das bitte einmal vorstellen: Björn Höcke, Ministerpräsident von Thüringen. Jemand der offiziell Faschist genannt werden darf. Seine ersten Amtshandlungen wären, den Bund für die Flüchtlingspolitik zu verklagen, den Thüringer Verfassungsschutz "umzukrempeln", Fördermittel für Demokratie, Vielfalt und den Kampf gegen Rechtsextremismus zu streichen, den Klimaschutz im Freistaat zu beenden und die Medienstaatsverträge aufzukündigen. Ist klar, worauf das hinausläuft? Das Szenario sei unrealistisch? Selbst wenn niemand mit der AfD zusammenarbeiten möchte (noch) und ich bin mir bei der CDU unsicher, wie lange die viel zitierte "Brandmauer", die mir häufig eher als eine Art "Absperrleine" vorkommt, noch hält. Und: Ein Passus in der Thüringer Verfassung besagt, dass im dritten Wahlgang bei nur einem Bewerber als Ministerpräsident gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. In Finnland und Schweden existieren bereits seit (vor-)letztem Jahr sogenannte "Mitte-Rechts"-Regierungen, bzw. solche, die von Rechtsradikalen gestützt werden
Mir graut vor den Wahlen im Herbst - einen kleinen Vorgeschmack wird es vermutlich schon bei der Europawahl geben. Bei den Landtagswahlen in Bayern war es 80% der Anhänger_innen schlicht egal, dass die AfD (mind. in Teilen) als rechtsextrem gilt, solange sie die "richtigen Themen" anspricht. Das Problem: Die oft gehörte Plattitüde "Man sollte die AfD nicht verbieten, sondern sie inhaltlich stellen" krankt daran, dass es entweder bisher noch niemand gemacht hat - und dann muss man sich fragen: WARUM NICHT?! - oder dass wir es die ganze Zeit schon machen und es offensichtlich nicht funktioniert.
- 2015 sagten sich viele "Naja, die AfD ist nicht mal im Bundestag!"
- 2017: "Naja, die AfD ist im Bundestag, aber keiner arbeitet mit denen!"
- 2018: "Naja, die CDU arbeitet mit denen, aber nur auf kommunaler Ebene!"
- 2019: "Naja, die AfD ist stärkste Kraft, aber nur im Osten!"
- 2023: "Naja, die AfD ist in Deutschland NUR zweitstärkste Kraft!"
- Seit vergangenem Jahr sind AfD-Politiker nun Landrat, Bürgermeister, Oberbürgermeister... und vermutlich werden einige sagen "Naja, aber nur in kleinen Städten Ostdeutschlands!"
Ich habe derzeit das Gefühl, dass wir in einer ähnlichen Zeit leben, wie vor rund 100 Jahren in der Weimarer Republik. Mir kommt es teilweise vor, als wären wir am Vorabend von etwas, was ich wirklich nicht erleben möchte. Mehr und mehr beschleicht mich das Gefühl:
Der Deutsche hat kein Interesse daran Zukunft zu gestalten. Er möchte einfach nur an der Gegenwart herumnörgeln!
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