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Food-"Trends" = alter Wein in neuen Schläuchen

Vorab zur Einstimmung bezüglich des Titels: Es gibt das Sprichwort "alter Wein in neuen Schläuchen" und es bedeutet in etwa so viel wie, dass etwas Althergebrachtes, Bekanntes, in neuem Gewand daherkommt. Alter Inhalt in neuer Verpackung also. Kennt man auch vom Etikettenschwindel beim SB-Fleisch im Supermarkt, wo dem Hack "für morgen" nochmal zwei, drei Tage extra gegönnt wurden. Anderes Thema.

Abgewandelt wurde dieses Sprichwort aus einem Zitat aus der Bibel: Dem schließt sich ein Gleichnis an, dass niemand neuen Wein in alte Schläuche fülle. Denn sonst werde der neue, sprudelnde Wein die alten, brüchigen Weinschläuche zerreißen, er werde verschüttet. Daher solle neuer Wein immer auch in neue Schläuche gefüllt werden. Grund: Die hier erwähnten Schläuche waren damals aus Tierhäuten hergestellt. Solange diese Weinschläuche neu waren, blieben sie dehnbar und elastisch. Aber wenn sie alt wurden, waren sie steif und unflexibel. Wenn neuer Wein in alte Schläuche gefüllt wurde, entwickelte der Gärungsprozess so viel Druck, dass sich die alten Schläuche dem nicht anpassen konnten und deshalb zerrissen. Okay soweit? Macht man also nicht.

So viel zum Geschichtlichen. Nun worum es eigentlich geht: Bowls. Seit geraumer Zeit sind diese "Schüsseln" der heißeste Scheiß, wenn es um Ernährung geht. Und wie so oft macht der Name die Musik: "Ratatouille Bowl", "Falafel Bowl", "Buddha Bowl", "Superfood Truffle Bowl", "Faschingbowl", "Regenbogenbowl", usw. heißt der Klumpatsch dann. Und JETZT hau ich mal einen raus: Streng genommen ist es auch nicht viel mehr als ein Salat! Mit vielleicht einem Unterschied: Der Salat kommt meistens gemischt daher, bei der Bowl ist alles fein säuberlich getrennt voneinander. Aber rechtfertigt dieser Aufwand, dass der Salat vielleicht 8,90 Euro kostet, die Bowl hingegen 14,90 Euro? Ein Beispiel aus einem grandiosen Artikel zu dem Thema: Die "Vegan Boss Bowl" (auch so ein Hype-Name) ist nicht mal eine Schüssel, sondern ein flacher Teller mit nur leicht erhöhtem Rand. Was ist drin? Ein bisschen Karottensalat, ein paar Maiskörner, rote Tupfer Paprika. Irgendein fleischloses Eiweiß. Quinoa, natürlich Quinoa, diese unschuldigen Körner, die wir den Be­woh­ne­r_in­nen der Anden wegessen. Ein paar schma­le Scheiben Avocado, natürlich Avocado, über deren Herkunft wir uns lieber keine Gedanken machen. Und Süßkartoffeln, natürlich Süßkartoffeln, die nur auf die Speisekarten dieser Welt (und speziell bei uns) gelandet sind, weil normale Kartoffeln halt zu... kartoffelig sind. Darüber irgendeine meist helle Soße, die wahrscheinlich nicht banal Soße heißt, sondern "Sauce mit irgendwas".

Wirds ein Salat oder doch eine Bowl? Man weiß es nicht... - Foto:Pixabay

Okay, manchmal gesellen sich auch warme Zutaten zur Bowl und das soll dann DEN Unterschied (zum gemeinen Salat) machen. Doch die Hähnchen- oder Putenstreifen im bekannten gleichnamigen Salat sind das meistens auch. Und einen Kartoffel- (mit Speck und Öl) oder Nudelsalat kann ich auch (leicht) warm genießen. Gegenfrage: Wenn ich jetzt einen Nudelsalat nicht mische und die gekochten Nudeln, die Fleischwurst, vielleicht etwas Mais, Gürkchen und was auch immer wie ein Tortendiagramm anordne und obendrauf einen Klecks Miracle Whip klatsche, hab ich dann nicht eine "Noodle Bowl"?

Ich denke, Adrian Monk hätte an dieser "Trennkost" seine wahre Freude.

Ja, ja, die Dinger sehen ganz toll aus. Kleine kulinarische Kunstwerke mithin. Und ja-ha, das Auge isst immer mit, klar. Aber vorrangig habe ich Hunger und will mir das nicht als Bild an die Wand hängen. Gleichwohl es (natürlich) bei den meisten an die virtuelle Kunstausstellung gepinnt werden muss (die Insta-Story). Kein Mensch wäre damals auf die Idee gekommen, zur Mutter zu sagen "Warte einen kurzen Moment bevor wir mit dem Essen anfangen, ich hole schnell die Polaroid-Kamera und mach ein Foto von den Senfeiern, um es an meine (Kork-)Pinnwand oder in der Schule ans schwarze Brett zu hängen!". Aber: Nur weil jetzt alles in einer Schüssel präsentiert wird und nicht mehr auf einem Teller ist es nun hip? Vor bereits einiger Zeit feierte der allein des Namens wegen unappetitlich klingende "Haferschleim" ein Revival als er plötzlich überall "Porridge" hieß und die halbe Welt ein "neues Frühstück" entdeckte.

"Haferschleim" vs. "Porridge" - nicht nur der Name, auch die Präsentation macht den Unterschied (Foto: Collage)
 

Ein weiterer (merkwürdiger) Food-Trend, der (wie könnte es anders sein) speziell über TikTok hohe Wellen schwappte: "Girl-Dinner". Da lasse ich jetzt mal etwas Zeit zum Nachdenken... was könnte sich dahinter verbergen? Wörtlich übersetzt heißt es ja nichts geringeres als "Abendessen für Mädchen". Vielleicht ein schickes Essen mit der besten Freundin? Na, na? Irgendeine Idee? Okay ich löse auf: Die Idee hinter diesem "Trend" ist ein Abendessen für eine Person, das nur aus Snacks besteht, die allerdings kein Kochen oder eine großartige Zubereitung abverlangen. Man nimmt einfach das, was man im Kühlschrank findet, und gibt es auf ein Brett oder einen Teller. Wenn der Käse fehlt, kein Problem. Wenn nur noch zwei Essiggurken übrig sind, reicht das. "Girl-Dinner" lässt sich nach persönlichen Vorlieben variieren, es gibt keine Regeln oder Grenzen.

Was der Kühlschrank halt so hergibt - Quelle: DerStandard.de
 

Begonnen hat der Hype, der unter dem Hashtag #GirlDinner bereits mehrere hundert Millionen Aufrufe generieren konnte, laut "New York Times" mit dem Video von einer gewissen Olivia Maher. Die US-Amerikanerin lud ihr Kurzvideo Mitte Mai des vergangenen Jahres auf die "Tanz-Plattform". Darin beschreibt sie ihr Essen, das aus Käse, Brot, Weintrauben und Gurken besteht, als "Girl-Dinner". Die Idee sei ihr bei einem Spaziergang gekommen. "Girl-Dinner" deswegen, weil sie kein typisches Abendessen zubereiten müsse, wenn ihr Freund nicht zu Hause ist. Wie die "NYT" schreibt, sei das Girl-Dinner eine "bewusste Entscheidung, die Tyrannei des Kochens abzulehnen". Ah ja....

Das Ur-"Girl Dinner" von Olivia Maher - eher spartanisch - Quelle: Buzzfeed

Wenn man sich das Ursprungs-Video anschaut, könnte man meinen, die gute Frau meint das eher sarkastisch, weil ihr Freund ihr womöglich keine Bowl gemacht hat und sie sich nun selbst "versorgen" musste. DER SCHUFT!
Und außer Kaffee oder Eiern kann sie selbst nichts kochen. Streng genommen ist das nichts anderes als Resteverwertung und ernährungstechnisch dann auch durchaus fragwürdig, weil alles andere als ausgewogen oder vollwertig. Bei manchen kommt lediglich der Rest einer Chipotle-Schüssel mit einer Karotte, Erdnussbutter und Praliné-Erdnüssen (was ne Mischung!), bei der nächsten eine Portion Nudeln mit Olivenöl als "Girl Dinner" auf den Tisch, bei einer anderen ist es nur eine Portion Popcorn. Toll! Wie gesagt, als Sarkasmus oder Ironie würde ich das durchgehen lassen, aber niemals als "Food-Trend".

Diese Namen, diese Bezeichnungen... wenn man eine Platte mit belegten Broten bestellt, wird das hierzulande oft "abstoßend" als "Partyplatte" bezeichnet. Das klingt nach Mettigel und Käsepilz. Alter, Mettigel! Entweder mit daumennagelgroßen Zwiebelstiften als Stacheln oder optional mit Salzstangen (die dann nach einer Weile richtig schön vom Mett durchweicht sind - igitt).

Relikte der 1970er, als man zu Hause wilde Partys feierte - Foto: Collage
 

Aber für den Heimgebrauch, also für ein, zwei Personen ist das normalerweise (also mit wenigstens ein bisschen Liebe) ein ganz ordinäres Abendbrot, oder wie man in Süddeutschland sagt: Brotzeit.

Als die Welt die "Brotzeit" entdeckte - Quelle: BR.de

Hört bitte auf irgendwelche Lebensmittel oder Essgewohnheiten zu hypen, indem ihr ihnen einfach nur einen abgefahrenen (englischen) Namen gebt. Wenn ihr euch dann noch vielleicht "aus Zeitgründen" tagsüber schon von so merkwürdigen Shakes ernähren müsst, nehmt euch doch wenigstens abends eine Viertelstunde Zeit und brutzelt was Vernüftiges zusammen. So schwer kann es doch heute nicht sein. Es gibt Youtube, es gibt Koch-Reels bei Instagram. Es muss doch nicht der Sonntagsbraten sein, für den Mutti damals sechs Stunden in der Küche ackerte, damit er binnen zehn Minuten verspeist wurde. Aber binnen 15, max. 30 Minuten kann doch heute wirklich jede/r etwas Vernünftiges auf den Tisch zaubern (außerhalb der TK-Pizza).

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