In Köln heißt es Karneval, in Mainz Fastnacht, in München Fasching. In Hamburg, Hannover oder Berlin sagt man:
"MACH DIE SCHEISS MUSIK AUS UND SCHMINK DICH AB - WIR HABEN MONTAG, DU TONTO!"
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Wer mir solch einen, vor Kitschigkeit triefenden Rotz schicken sollte, dem versage ich die Freundschaft, lebenslang und rückwirkend - Foto: Collage |
Es ist die Zeit, in der der Humor ernst macht. Am 11.11. pünktlich um 11:11 Uhr geht das unsägliche Treiben los, nimmt der Wahnsinn seinen Lauf, beginnt wieder der absolute Alptraum - eben noch bis 11:10 Uhr ordnungsgemäß die Nachbarn an die Kehrwoche ermahnt, nun Zack: Frohsinn, Trubel, Heiterkeit! Kann etwas noch "deutscher" sein? Auf einen Schlag werden alle dämlich, denn das befiehlt das Datum nämlich. Fortan kann man in den dritten Programmen des Fernsehens landauf landab monatelang Karnevals-Sitzungen wegzappen bis der Arzt kommt. Dann, an einem Donnerstag im (allermeist) Februar laufen langsam alle zur Höchststimmung auf: "Weiberfastnacht". Betrunkene Frauen mit Scheren in den Händen - gefährliche Kombi. Gemein ist allen Bräuchen zur Weiberfastnacht, dass den Frauen für einen Tag die Macht zugestanden wird, also die Frauen die Herrschaft über die Männer übernehmen (an diesem Tag in symbolischer Form durch das Abschneiden von Krawatten) - als wäre das was Neues. Ehrlich, wir bräuchten mehr Frauen in echten Machtpositionen, dann wäre die Welt um einiges friedlicher und gerechter. Anderes Thema.
Dann wird sich langsam in Ekstase geschunkelt - die Polonäse reicht bereits von Blankenese bis hinter Wuppertal (das sind nebenbei erwähnt über 350km). Übrigens: Die eigentliche Polonaise (von französisch: danse polonaise = „polnischer Tanz“) ist ein (polnischer National-)Tanz, bei dem Paare im Reigen und moderaten Tempo nach bestimmten Figuren würdevoll und majestätisch zu einer Musik im Polonaise-Rhythmus durch den Saal schreiten. Da sollten sich Erwin und Heidi mal ein Beispiel nehmen und die Finger von den... ach lassen wir das.
Es kommt also nach der Weiberfastnacht das Wochenende, wo wirklich jede Dorf-Disco den guten Korn herausholt, drei Konfetti auf dem Tisch platziert und Karneval-Mottoparty feiert. Wo sich Menschen in gewissen Regionen des Landes u.a. an "witzigen" Spirituosen namens "Schlüpferstürmer" & Co. - allesamt auf einer Art Spiritus-Basis, dass man damit auch problemlos ein Moped betanken könnte - hemmungslos wegschädeln, peinliche Lieder singen (s.o.), die sogar bei RTL2-Dokus als musikalische Untermalung auf dem Index stehen und sich maskieren, damit man für ein paar Tage sinnbildlich die Maske fallen lassen kann, welche man sonst das ganze Jahr über trägt. Traurig aber Warzenschwein. Dann der (nächste) Höhepunkt: Rosenmontag. Als wäre Montag allein nicht schon schlimm genug. Was für ein wunderschöner Dreckstag: Straßenkarneval - IM FEBRUAR! In Rio haben sie dafür um die 30°C. Bei uns normal fünf Grad Celsius und Nieselregen - wer hat sich so einen Scheiß ausgedacht? Ejal! "Mir lasse uns das Feiern nicht vermieeese!" - "SCHA-LA-LA-LAAAA, Fasching ist nur einmal im Jahr!!!".
Es geht weiter mit Verkleidungsfeiern in KiTa's und Grundschulen, wo Eltern ihren Sprösslingen erklären müssen, dass sie nicht als Cowboy und/oder Indianer gehen können, da dies heutzutage als kulturelle Aneignung gilt. Ja, sicher sind die gängigen Kostümvorstellungen mitunter (sehr) sterotyp, aber ich bezweifle auch einfach die Chancen hierzulande ein authentisches Indianer-Outfit erstehen zu können und: Herrgott, es sind Kinder! Es kann doch nicht die ganze Schule als Clown gehen. Obwohl per se ein praktisches Kostüm - Anfang des Jahres (Karneval) "Lustig, ein Clown!😄", Ende des Jahres (Halloween) "Oh mein Gott, ein Clown!😱". By the way: "Zigeunerschnitzel" (= Schnitzel Balkan-Art) und "Negerkuss" (= mit fair gehandelter Schokolade überzogene Eierschaumbällchen auf Natur-Vollwert-Waffelboden) sind tabu. Warum geht "Führerschein" eigentlich noch? Vermutlich weil es sonst im Amtsdeutsch "Genehmigung zum führen, äh lenken eines Kraftfahrzeugs" o.ä. heißen würde. Man könnte aber auch einfach "Fahrerlaubnis" nennen, egal. Weiter im Text.
Es folgen Büttenreden, teils gar von prominenten Politiker_innen. Mal ernsthaft, wie viele Politiker_innen sind gute Comedians bzw. umgekehrt? Merkste selber! Politik ist normal spaßbefreit - wer das eine Talent hat, wählt nicht den anderen Karriereweg. Norbert Blüm konnte das noch einigermaßen gut. (Ungut) In Erinnerung geblieben (um nur ein Beispiel zu nennen), die seinerzeitige CDU-Chefin AKK, welche 2019 in einer Büttenrede die Thematik um die "dritte Toilette" und damit nicht einfach ihre eigene Zunft oder andere Prominente, welche so etwas im Zweifel als öffentliche Person einfach "aushalten" müssen, sondern eine komplette Gruppe von Menschen durch den Kakao zog. Bütte nicht! Für den derben, rhetorischen Schlagabtausch untereinander gibt es ja immerhin auch noch den politischen Aschermittwoch.
Einer der schönsten Tage im Jahr: Aschermittwoch. Tag der Erlösung. Denn wie schon eine alte Volksweisheit besingt "Am Aschermittwoch, ist alles vorbei!" - na endlich. Erst einmal wieder neun Monate Ruhe. Warte mal... NEUN Monate? Na, was da so alles gezeugt werden kann, wenn das "bützen" ausartet und eine 1,90m große Biene eine sedierte Sonnenblume über eine Mauer gelehnt von hinten nimmt. Wenn dann der Geburtstermin auch noch auf den 11.11. fällt, hat der Karnevalist alles richtig gemacht. Ich persönlich brauche ja keinen Karneval, um von Menschenmassen genervt zu sein. Wobei man zugestehen muss, es gibt ja "Karneval" und "Karneval"...
- Meine Gedanken beim Karneval in Rio: Tolle Tänze, aufwändige Kostüme.
- Meine Gedanken beim Karneval in Venedig: Elegante Kostüme, geheimnisvolle Stimmung.
- Meine Gedanken beim Karneval in Deutschland: Schlechtes Wetter, Clownsnasen.
Bitte geht mir weg mit dem Zeug!
Fasching klingt wie ein Ortsteil von München und Fastnacht ist für mich so gegen 00:00 Uhr
Um wenigstens einmal (so gut wie) alle Begriffe abgefrühstückt zu haben: Als Karneval, Fastnacht, Fassenacht, Fasnacht, Fasnet, Fasching, Fastabend, Fastelovend, Fasteleer oder "fünfte Jahreszeit" bezeichnet man die Bräuche, mit denen die Zeit vor der vierzigtägigen Fastenzeit gefeiert wird. Die Fastenzeit beginnt mit dem Aschermittwoch und dient der Vorbereitung auf das Osterfest. Das Wort "Karneval" ist erst seit dem 17. Jahrhundert belegt. Es könnte ziemlich sicher von dem italienischen Wort "carne vale" abstammen, was in etwa "Fleisch, lebe wohl" heißt und eben an die bevorstehende Fastenzeit erinnert. Man will sozusagen nochmal richtig die "Sau rauslassen", auch das "Fettgebäck" (Berliner, Krapfen, was-auch-immer) dient in dieser Zeit zur... tja, sagen wir mal "Speicherung von Reserven": Vor allem die ärmere Bevölkerung backte gerne Krapfen, da die Zutaten nicht nur billig waren, sondern dem Körper auch Energie lieferten. Kurz vor der Fastenzeit wurde der Verzehr von Krapfen auch von Geistlichen empfohlen, um die "Batterien" vor der entbehrunsgreichen Zeit nochmal aufzuladen. Ganz allgemein dient der Karneval dem Volke auch dazu, sich über "die Obrigkeit" spöttisch auszulassen. Da werden Rathäuser "gestürmt" und ein symbolischer Pappschlüssel übergeben (das war es dann aber auch - toll). Für ein paar Tage befand man sich sozusagen auf einer Stufe. Vorläufer des Karnevals wurden bereits vor 5.000 Jahren in Mesopotamien gefeiert. Eine altbabylonische Inschrift aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. gibt Kunde davon, dass unter dem Priesterkönig Gudea ein siebentägiges Fest gefeiert wurde. Die Inschrift besagt: „Kein Getreide wird an diesen Tagen gemahlen. Die Sklavin ist der Herrin gleichgestellt und der Sklave an seines Herrn Seite. Die Mächtige und der Niedere sind gleichgeachtet.“. Grundsätzlich kein schlechter Ansatz. Aber das, was sich daraus entwickelt hat, ist (nüchtern) keinesfalls zu ertragen. Sehenswert: Das "ABC der Fassenacht" mit einer Zusammenstellung von Peinlichkeiten, aus (leider nicht ganz) vergessenenen Zeiten.
Die NASA soll vermeldet haben, es wurden erdähnliche Planeten entdeckt... und auf allen ist Karneval scheiße! Es ist das aus tiefem Herzen kommende Bekenntnis des Deutschen zur Humorlosigkeit. Menschen welche sich über in Reimen vorgebrachte Zoten die Schenkel blutig klopfen, die sich auf Mario Barth angesprochen hingegen angewidert wegdrehen, ob des humoristischen Verfalls von Loriot-Deutschland. Und im Februar haben wir dann neben Karneval auch noch Valentinstag! Leute verkleiden sich, sind aufgesetzt freundlich, nur um am Ende besoffen Sex zu haben... und Karneval ist auch nicht besser.
Norddeutschland macht die Grenzen dicht - der Rest feiert Karneval!
Karneval bedeutet selbst heute noch viel zu oft Altherrenwitz, Marschmusik und peinliche Uniformen. Es ist gar ein stückweit wie Kommunismus: Alles säuft und keiner arbeitet. Außer im Norden des Landes. Hier löst das Ereignis bei den Menschen so krasse Reaktionen wie ein "Aha!" und/oder ein Schulterzucken aus. Das Schönste am Karneval in Köln? Ich bin an Karneval NICHT in Köln! Als ich seinerzeit regelmäßig Dienstfahrten dorthin unternehmen musste, habe ich um die Zeit im Kalender einen weiten Bogen gemacht. Ich kenne sogar Kollegen_innen aus der Region, die davor regelrecht flüchten und hier im Norden für eine Woche Asyl suchen. Wenn daheim brathähnchenfarbene Frauen mit Obst auf dem Kopf gliederschmeißend Ekstase simulieren, wenn angeschossene Reservekasper Witze aus dem Holozän des Humors abfeuern, wenn vor Bedeutung berstende Humorvorstände Minderjährigen in mortadellafarbenen Strumpfhosen auf die Beine starren... UN-GLAUB-LICH! Überhaupt: Kinder-Prunksitzungen im Fernsehen! Da lesen Minderjährige irgendwelche von Erwachsenen verfasste, als witzig vermutete Texte vor, während ihre Leidensgenossen_innen gelangweilt zwischen Fanta und Salzstangen auf dem Tisch liegen. Nur das unausweichliche "TÄ-TÄÄÄ!!" weckt den einen oder die andere aus dem "Holt mich hier raus!"-Schlaf - das musikalische Satzabschlusszeichen, dass wirklich jedem/jeder signalisiert "Das war ein Witz - es muss gelacht werden!".
Das Selbstexperiment - vor langer, langer Zeit
Es ist nicht so, dass ich es nicht versucht hätte! Mein Kumpel Tobi zog nach seiner Ausbildung beruflich bedingt nach Düsseldorf und hat uns dann irgendwann mal eingeladen. Es müsste so um das Jahr 2000 gewesen sein. Wir fuhren am Freitag zu ihm, kamen mit unserem Auto, also mit auswärtigem Kennzeichen (!) im Zielgebiet an, einer Wohngegend (!!), da steht ein (!!!) verkleideter Kasper (erwachsen!) auf der Straße, einer Sackgasse (!!!!), mit ausgebreiteten Armen. Ich schaue meine damalige Lebensabschnittsgefährtin an und wir diskutieren, was wir tun sollen... weiterfahren und die Türen verschließen, umkehren, die Polizei zu Hilfe rufen? Wir rollen langsam auf die Person zu, diese tritt neben mein Fenster und sagt: "Narrenzoll!". Ich sage "Bitte was?". "NARRENZOLL!". Ich sag "Meister, ich hab dich akustisch verstanden, nur inhaltlich nicht. Guck' mal auf's Kennzeichen. Erklär' uns deinen Brauch!". Erklärung: Er verlangte, als "Passiergebühr" (also die letzten zehn Meter zum Wendehammer), etwas Alkoholisches oder zumindest was Süßes. Ich entgegnete sinngemäß "Alter, wir sind mit dem Auto unterwegs. Meinst Du ich hab hier ne Minibar drin? Seh ich aus wie ein fahrender Kiosk!? Ich kann Dir ein paar Tic-Tacs anbieten, aber das war es dann auch! Guten Tach und guten Weg!".
Samstagabends fahren wir nach Köln. Sind in einer Lokalität, die sich L-förmig ausbreitet. Zu Beginn des Abends sind wir mit die Ersten dort und kommen binnen ein, zwei Minuten an das hintere Ende des Lokals, wo sich auch die Theke befindet. In den nächsten Stunden wird das Lokal dermaßen voll (und die Musik nicht zwingend besser), dass es sich irgendwann kaum aushalten lässt. Wir entschließen uns dazu "frische Luft zu schnappen" und begeben uns Richtung Ausgang. Wir brauchten für die nicht mal 50 Meter eine Stunde, um uns durch die Massen durchzukämpfen. EINE STUNDE! Draußen angekommen entschließen wir uns aufgrund dieser Erfahrung nicht wieder reinzugehen, sondern das Etablissement zu wechseln. Beim Gang zum Auto kommen wir an dem Fenster vorbei, neben dem wir vor rund einer Stunde (drinnen) standen. Es ist auf Kipp und es strömt, auch bedingt durch die kalte Außentemperatur, eine Rauchschwade heraus, als würde es da drinnen brennen! Eine römische Dampfsauna ist ein Witz dagegen gewesen.
Wir überspringen ein paar weitere unschöne Erlebnisse. Zurück in D-Dorf. Am nächsten Morgen. Plan: Frühstücken gehen, in der City. Hmm, dezenter Kater wg. gestern, wenig geschlafen, nicht die besten Voraussetzungen für den Düsseldorfer Straßenkarneval. Wir haben es irgendwas um 10:30 Uhr, die Altstadt ist rap-pel-voll - die meisten Menschen dort auch... schon wieder... immer noch, keine Ahnung. Irgendwann kommt ohne Vorwarnung jemand mit einem Megafon auf mich zugerannt und brüllt mir damit aus 20cm Entfernung ins Gesicht "WARUM SIND SIE NICHT VERKLEIDET?!?". Mir schießen sofort die Zeilen des Liedes "Sixteen Tons" von Tennessee Ernie Ford durch den Kopf:
If you see me comin', better step aside
A lotta men didn't, a lotta men died
One fist of iron, the other of steel
If the right one don't get you
Then the left one will
Dies Wochenende war der "Highway to Helau - Hölle Alaaf". Spätestens seitdem ist, falls mich jemand zum "bunten Treiben" fragt, meine Antwort stets diese: "Klar komme ich mit zum Karneval. Ich schlage mir nur noch schnell einen rostigen Nagel ins Knie!".
Kommen wir zum versöhnlichen Ende. Ein Kölner Sprichwort besagt "Jede Jeck is anders", was so viel bedeutet, dass die Menschen unterschiedlich sind bzw. verschiedene Neigungen haben - "leben und leben lassen" könnte man auch sagen. Dem pflichte ich unumstößlich bei und das ist auch gut so (liebe Genossinnen und Genossen). Aber ich kann mit diesem Brauchtum einfach nichts anfangen. Karneval ist gesamtpolitisch einfach keine Lösung.
Ich habe abschließend noch einen Tipp, für alle, wo es sich partout nicht vermeiden lässt: Einfach komplett grün anmalen. Bist du muskulös, gehst du als "Hulk". Bist du dünn, als Lauch. Bist du dick, als Avocado. Alles Interpretationssache. Ich geh' dieses Jahr als Sofa und schließ' mich eine Woche zu Hause ein, damit mich (ähnlich beim "Whamageddon") kein "TÄ-TÄÄ" oder "Narrhallamarsch!!!" ereilen kann. Und im Zweifel zur Tarnung einfach eine Luftschlange aus der Hose baumeln lassen und beten, dass uns die Regierung nie, niemals den Aschermittwoch streicht.
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