Seit der jüngsten Europawahl gibt es viel Bewegung im Parlament und das vor allem in eine Richtung: Nach Rechts. Neben den "normalen" Konservativen gibt es ja die Fraktion "Europäische Konservative und Reformer". Ausrichtung: EU-Skepsis, Konservatismus, Nationalkonservatismus, Rechtspopulismus, Wirtschaftsliberalismus. Hier haben sich beispielsweise Melonis "Fratelli d’Italia" versammelt.
Weiter rechts gibt es im Europa-Parlament die Fraktion der "Identität und Demokratie" (Ausrichtung EU-Skepsis, Nationalkonservatismus, Rechtspopulismus, Nationalismus, Rechtsextremismus), wo die französischen Rechtsextremen vom Rassemblement National, der österreichischen FPÖ und weiteren etablierteren rechten Partnern u.a. der italienischen Lega sitzen. Das ist die Fraktion, welche die AfD rausgeworfen hat, u.a. aufgrund der Verharmlosung der SS durch Maximilian Krah.
Dann bildete sich die weitere, extrem rechte Fraktion, deren Mitglieder rechtspopulistischen, rechtsextremen und ebenfalls EU-skeptischen Parteien angehören. Die „Patrioten für Europa“, unter anderem von Viktor Orbán (Fidesz) und Jordan Bardella (Rassemblement National) mit 84 Abgeordneten aus 12 EU-Ländern gegründet, ist aus dem Stand drittstärkste Kraft in Brüssel.
Rechts? Nein, danke. Bild: Pixabay
Manch jemand mag sich fragen, "Wo ist denn die AfD mit dabei?". Dass die AfD nicht Teil von Orbáns oder Le Pens Fraktion geworden ist, ist (vermutlich) wie folgt zu erklären: Es geht beim Ausschluss der AfD aus der rechtsextremen Fraktion auch um deren Stellung in Deutschland. Le Pen möchte im Europaparlament künftig auch mit den Konservativen zusammenarbeiten, und das ist leichter, wenn die CDU und die CSU sich nicht dafür rechtfertigen müssen, dass da auch die AfD drin sitzt.
Die AfD hat sich eine eigene Fraktion geklöppelt: „Europa der souveränen Nationen“. Die AfD stellt in der neuen Fraktion mit 14 Abgeordneten die größte Delegation sowie die Leitung unter René Aust, übrigens einem engen Vertrauten des Rechtsextremisten Björn Höcke. Für eine Fraktion im EU-Parlament braucht es mindestens 23 Abgeordnete aus sieben EU-Staaten. Vom Fraktionsstatus hängt viel ab, unter anderem Gelder für Mitarbeiter und Redezeit man bekommt. In dieser Fraktion werden lt. Alice Weidel's Sprecher "teils noch radikalere Vertreter" angehören als in der zuvor erwähnten „Patrioten für Europa“. Es ist ein "Who's who durchgeknallter Rechtsextremer", die "rechtsextreme Resterampe". Ein Auszug:
- Kostadin Kostadinov, der Vorsitzende der rechtsextremen bulgarischen Partei Wasraschdane (Wiedergeburt), hat auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg ein denkwürdiges Grußwort gehalten. Er sagte unter anderem: „Im letzten Jahrhundert waren wir im Krieg zweimal verbündet. Nun sind wir verbündet in Friedenszeiten. Es ist höchste Zeit, dass Ihr Land seinen rechtmäßigen Platz als Großmacht einnimmt – und das nicht nur in Europa.“. Danach ging ein Raunen durch den Saal, welches bei den AfD-Delegierten in großen Applaus mündete. Am Ende der Rede gab es Standing Ovations für Kostadinov. Seine Partei ist bekannt für Hetze gegen Roma und Homosexuelle, Parteianhänger solidarisierten sich mit „Z“-Symbolen mit Russland nach dem Überfall auf die Ukraine. Maximilian Krah sagte zur besagten Rede, von den Bulgaren könne man sich noch eine Scheibe abschneiden.
- Teil sollen auch drei Abgeordnete der polnischen Konfederacja („Konföderation“) sein, ein Sammelbecken für Antisemiten, Monarchisten, Libertäre und Nationalisten. Diese soll darauf bestanden haben, dass Maximilian Krah nicht Teil der Fraktion werden soll. Der wiederum für die Polen eingezogene Skandal-Politiker und offene Antisemit Grzegorz Braun soll ebenfalls nicht Teil der Fraktion sein – er ist unter anderem bekannt dafür, dass er im polnischen Parlament mit einem Feuerlöscher einen Channukkah-Leuchter gelöscht hat.
- Weitere Abgeordnete kommen aus der slowakischen Hnutie Republika („Bewegung Republik“ - entstand im März 2021 als Abspaltung von der neonazistischen Kotleba-Partei und tritt bedingt gemäßigter als diese auf) und der tschechischen Svoboda a přímá demokracie („Freiheit und Demokratie“ - hat in ihrer Ausrichtung "Islamfeindlichkeit" mit dabei), der litauischen Tautos ir teisingumo sąjunga („Vereinigung von Nation und Gerechtigkeit“), der französischen Reconquête („Rückeroberung“) und der ungarischen Mi Hazánk Mozgalom („Unsere-Heimat-Bewegung“). Letztere hat als Ausrichtung Ultranationalismus, Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Dritter Weg, EU-Skepsis und Antiziganismus (Feindschaft gegen Sinti, Roma, u.ä.) zu bieten.
- Die spanische Se Acabó La Fiesta („Die Party ist vorbei“) ist noch nicht offiziell dabei, könnte aber noch folgen. Mit dabei könnte dann auch der rechte Influencer Alvise Pérez sein, der Fake News verbreitet, gegen Migration und Feminismus hetzt und die Einführung von Zwangsarbeit für Sexualstraftäter fordert. Diese Partei ist Anhänger des Trumpismus und hat "Anti-Parteienstaat" in ihrer Ausrichtung.
Rückeroberung, Wiedergeburt, unsere Heimat, Patrioten... diese Namen. Es ist schon spannend, wie sich all die eurokritischen Nationalisten in einem Parlament zusammenschließen, welches sie im Grunde ja eigentlich lieber abschaffen würden. Europa, ein Kontinent, der sich wie kaum ein anderer eine gewisse Zeit lang die Köpfe eingeschlagen hat: Engländer gegen Franzosen, Franzosen gegen Deutsche, Spanier gegen Engländer, Österreich-Ungarn gegen Serbien, usw. usw.. Ein Kontinent der beispiellos daraus gelernt hat, dessen Nationen sich hingesetzt und gesagt haben, "wir machen das ab morgen mal anders": Freies Reisen, einfacherer/gemeinsamer Handel, gemeinsame Währung, und und und. Unter dessen Mitgliedern es über 70 Jahre keine kriegerische Auseinandersetzung gab und das bei der Vorgeschichte.
Auf diesem Kontinent gibt es nahezu überall Zeitgenossen, die sich einreden "alleine wären wir viel besser dran". Viele nennen es Patrotismus, doch das ist es nicht. Patriotismus bezeichnet eine emotionale Verbundenheit mit der eigenen Heimat oder dem Vaterland. Naja gut, vielleicht zum Teil. Johannes Rau formulierte es seinerzeit so: Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Und genau darum geht es all den Verrückten, sie glauben es alleine besser auf die Kette zu bekommen, ohne die anderen, ohne eine "Diktatur von oben aus Brüssel". Nicht wenige sehen sich überlegen gegenüber anderen Völkern und/oder Personengruppen.
Es ist mitunter erschreckend, dass es heutzutage so viele, in so vielen Ländern gibt, die sich offen dazu bekennen. Die sich unter dem Deckmantel "das wird man ja wohl noch sagen dürfen" ganz offen fremdenfeindlichen Parolen hingeben. Welche unter dem "Argument der Meinungsfreiheit" Minderheiten für ihre eigene (vermeintliche) missliche Lage verantwortlich machen. Sie werden nicht müde es permanent hinauszukrakeelen, dass alles blöd, traurig, schlecht sei. Und die Schuld liegt selbstverständlich immer bei den anderen - den Politiker_innen, den Ausländern, und und und.
Wann begreifen es die Menschen endlich? Man hört so oft "Wir haben dieses Problem... wir haben jenes Problem!". Man hört nie "Ich hätte hier eine Lösung, lasst sie uns mal versuchen.". Julian Nagelsmann hatte es in der Pressekonferenz nach der verlorenen EM perfekt auf den Punkt gebracht: Wir müssen weg, von dieser unfassbaren Individualität zurück zur Gemeinsamkeit, hin zu einer geschlossenen Gruppe. Wozu brauchen wir die Diskussion, dass mein Nachbar einen grüneren Rasen hat, das größere Auto? Warum haben so unfassbar viele Spaß daran, dem Nachbarn aus dem Liegestuhl zuzusehen, wie er sich beim Heckeschneiden abmüht, anstatt dass man vielleicht ein bisschen zur Hand geht, sodass er schneller fertig ist und dann gemeinsam ein Bier miteinander trinkt?
Es liegt nicht ständig an anderen, etwas besser zu machen. Es fängt beim Individuum an. Wenn man beim Fußball auf den Platz kommt mit der Einstellung "Ooh, die anderen sind viel besser, bei denen ist der Ball runder..." es genügt nicht, das Spiel nicht verlieren zu wollen. Zum Gewinnen gehört ein wenig Risikobereitschaft, dann muss man Tore schießen und nicht mit elf Leuten in der Deckung stehen.
Es gibt die Geschichte von einem Herrn in einem schicken Anzug, welcher in einer öffentlichen Toilette nach dem Händewaschen das Waschbecken säuberte. Er hat die Armatur abgeputzt, alles sauber gemacht und der Nebenmann frotzelte: "Sie arbeiten schon länger hier?". Der Anzugträger entgegnete nur "Es ist keine schlechte Idee, die Dinge etwas besser zu hinterlassen, als man sie vorgefunden hat.". Das ist ein unheimlich toller Ansatz, für jede/n Einzelne/n von uns.
Wenn wir in unser aller Alltag diesen Gedanken umsetzen würden, jede Situation, jede Gegebenheit nur ein kleines Stückchen besser zu hinterlassen, in was für einer tollen Welt könnten wir leben?
Schon Charlie Cahplin wusste dies in seiner "Rede an die Menschheit":
Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein, wir müssen es nur wieder zu leben lernen! Die Habgier hat das Gute im Menschen verschüttet und Missgunst hat die Seelen vergiftet. Jeder Mensch sollte dem Anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt! Wir sollten am Glück des Anderen teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher! Im Namen der Demokratie! Lasst uns diese Macht nutzen! Lasst uns zusammenstehen! Lasst uns kämpfen für eine neue Welt, für eine anständige Welt! Die jedermann gleiche Chancen gibt, die der Jugend eine Zukunft und den Alten Sicherheit gewährt. Versprochen haben die Unterdrücker das auch, deshalb konnten sie die Macht ergreifen. Das war Lüge, wie überhaupt alles was sie euch versprachen! Diese Verbrecher! Diktatoren wollen die Freiheit nur für sich, das Volk soll versklavt bleiben!
Dann hätten vermutlich all die engstirnigen Nationalisten keinerlei Handhabe, mit ihren haltlosen Parolen auf Rattenfängerjagd zu gehen. Schön wär's...
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