Es ist dieser Artikel, mit der Überschrift "Sowjet-Ressourcen sind „aufgebraucht“ – Russlands Wirtschaft braucht neue Energie", der einen im ersten Moment stutzig machen lässt. Manche erinnern sich vielleicht noch: Mit Beginn der westlichen Sanktionen hatte Russland angekündigt, ganz Deutschland müsste im Winter frieren, ohne russisches Gas würde die Energiekrise das Land zum Erliegen bringen. Verschiedene "Influencer" mit Russland-Affinität posteten munter Videos, wie sie in dicken Winterjacken in ihren deutschen Wohnungen saßen... bei rund 12 Grad Außentemperatur... alles für die Propaganda. Zwei Jahre später hat sich die Bundesrepublik weitestgehend von russischer Energie gelöst und hat Alternativen gefunden – stattdessen droht exakt das angedrohte Schicksal nun den östlichen Regionen Russlands.
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Grafik KI-generiert |
Also nur zur Erinnerung: Wir reden von Russland. Dem flächenmäßig größtem Land der Erde, in dem sich die weltweit wertvollsten Bodenschätze befinden: Mit 65.4 Billionen Euro verfügt es fast über doppelt so reiche Vorkommen wie die zweitplatzierte Nation, die USA. Neben den Energieträgern Erdöl und Erdgas sowie Kohle verfügt man über so wichtige Bodenschätze wie Eisenerz, Nickel, Kupfer, Platingruppenmetalle, Gold und Diamanten. Mit derartigen Vorkommen gesegnet, ist es eigentlich ein Rätsel, wie manche Gegenden in Russland immer noch aussehen, wie zu den finstersten Zeiten des Kommunismus - oder teils noch schlechter. Vielerorts ist fließendes Wasser oder Strom ein Wunschdenken.
Beispiel: In der russischen Region Krasnodar bezieht die Siedlung Mitschurinskij ihr Leitungswasser direkt aus dem Fluss Kuban. Für die Bewohner_innen sind eimerweise braune Brühe von der Straßenpumpe längst Alltag. Sie haben zwar eine Wasserleitung ins Haus, aber dort ist der Druck oft so schwach, dass sie das Wasser lieber selbst pumpen. Es spielt ja keine Rolle, wo man es herholt. Denn das Wasser im Dorf - sowohl auf der Straße als auch zu Hause - kommt beides aus dem Fluss. Dann wird es in Kunststoffkanistern in Ruhe gelassen, bis sich der gröbste Dreck legt und dann abgekocht. Laut einem Gutachten der staatlichen Naturschutzbehörde sind manche Wasserleitungen in Mitschurinskij mittlerweile bis zu 90 Prozent mit Schlamm aus dem Fluss verstopft. Nur manchmal, wenn es richtig eklig wird, trinken die Einwohner_innen sauberes Trinkwasser aus einem handelsüblichen Wasserspender. Aber dieses Wasser kostet Geld, ca. 3.000 Rubel, umgerechnet 35 Euro im Monat. Geld, das viele Rentner nicht haben, weil es oftmals einem Drittel der monatlichen Gesamtrente entspricht, die sowieso kaum zum Überleben reicht. Und sie sind nicht die einzigen, die unter verschmutztem Trinkwasser leiden. Auch in den großen Städten, wie Moskau oder Jekaterinburg werden die Leitungen nur langsam erneuert. Und je kleiner die Orte, desto mehr fühlen sich die Menschen von der Regierung im Stich gelassen.
Zum Vergleich: Vor rund 60 Jahren war Dubai das, was meinetwegen Bielefeld heute ist: Eine Mitleid erregende Favela irgendwo im nirgendwo. Doch durch sehr reiche Bodenschätze [und viel harter (Sklaven-)Arbeit] ist es heute zum fleisch- bzw. licht, glas- und stahlgewordenen Gaming-PC-Hintergundmotiv geworden. Warum hat Russland diesen Werdegang nicht hinbekommen?
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Dubai 1960er-Jahre und heute - in Russland kann man vielerorts keinen Unterschied (früher/heute) sehen - Bild: Netzfundstück und Pixabay |
Nach aktuellen Daten der russischen Statistikbehörde haben 22,6 Prozent der russischen Haushalte keinen Kanalisationsanschluss - vor allem auf dem Land regiert das Plumpsklo. Zahlreiche Siedlungen in der Region Moskau waren im Januar mehrere Tage ohne Heizung, Wasser und Strom – und das bei Temperaturen um die minus 30 Grad.
Streng genommen, war früher in der Tat einiges besser: In Mitschurinskij gab es zu Sowjetzeiten eine Sowchose, einen staatseigenen landwirtschaftlichen Großbetrieb mit einer Konservenfabrik. Der Staat kontrollierte nicht nur die Produktion von Lebensmitteln, sondern sorgte auch dafür, dass das Wasser für den Betrieb der Sowchose wenigstens rudimentär gereinigt wurde. Aber dann brach die Sowjetunion zusammen. Und mit ihr das alte Reinigungssystem. "Früher standen am Ortsausgang große Behälter, in denen das Wasser aus dem Fluss aufbereitet wurde, bevor es weiter ins Dorf geleitet wurde. Aber dann kamen neue Machthaber, das Ganze wurde geplündert." erinnern sich die Alteingesessenen. Seitdem sind die Behälter marode. Sie schaffen es schon lange nicht mehr, das Wasser aus dem Fluss zu reinigen.
Und nun frage ich: Wie kann es sein, dass knapp 144 Mio. Russinnen und Russen diese Zustände als "okay" hinnehmen, dass sich niemand auflehnt, gegen Oligarchen (die 84 reichsten Russen besitzen knapp 520 Milliarden US-$ Vermögen), das Putin-Regime und seine Großmacht-Phantasien? Einen friedlichen Umsturz eines totalitären Staates haben nahezu 16 Mio. Bürger_innen der damaligen DDR auch vor fast 40 Jahren hinbekommen. Sicher wird es einige geben, die mit der gegenwärtigen Situation zufrieden sind, aber dann bleiben garantiert immer noch 120 oder 100 Millionen Menschen... wollen sie die bei Protesten alle einsperren? Es ist mir unerklärlich. Im Ernst: Das Land hat eine Fläche von über 17 Mio. km², eine Einwohnerdichte von acht Menschen pro km² und elf (ELF von 24!) Zeitzonen. Wenn Wladimir es nicht hinbekommt, dieses Gebiet für alle Menschen annehmbar zu regieren und stattdessen von "alten Zeiten" träumt... wie möchte er denn dann ein Gebiet wie es seinerzeit die Sowjetunion war (22,5 Mio. km², 290 Mio. Menschen) regieren und hier ein annehmbares Leben für die meisten hinbekommen?
Ich meine: Bei acht Menschen auf einem Quadratkilometer, da bliebe eigentlich auch massig Platz, um beispielsweise Windräder aufzustellen oder Parks mit Photovoltaik.
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Menschen pro km² - nur 13 Länder der Erde sind noch dünner besiedelt als Russland - in Monaco wäre das Feld komplett gefüllt... und 39x in die Höhe gestapelt! |
Anstelle Leitungen und Einrichtungen zu sanieren, damit die eigenen Einwohner_innen Gas, Öl, Wasser, Strom und vielleicht sogar genug zu essen haben, werden seit rund zwei Jahren roundabaout 211 Milliarden US-Dollar in einen Krieg mit dem (ehemaligen) Brudervolk gesteckt. 211 Milliarden! Das ist etwas weniger als das gesamte BIP von Griechenland 2022 (Platz 55 in der Welt)! Das hat Putin "nebenbei" nur für den Krieg ausgegeben. Mit Blick auf das entgangene mögliche Wirtschaftswachstum könnte der Krieg Russland sogar 1,3 Billionen Dollar kosten – wenn man hochrechnet, wie sich das Wachstum der russischen Wirtschaft von Kriegsbeginn bis 2026 entwickelt haben könnte. 1,3 Billionen gleicht dem BIP von Indonesien (Platz 16 weltweit). Nochmal: Alles, wirklich ALLES, was Griechenland 2022 an Waren und Dienstleistungen erwirtschaftet hat, jedes Schiff das gebaut, jede Olive die geerntet wurde, jeder Haarschnitt der erbracht wurde und vieles, vieles mehr, hat Russland in etwas mehr als zwei Jahren an der Front verfeuert. Für eine "Spezialoperation", von der man ausging, dass sie nur "wenige Wochen" dauern würde. Übrigens: Da sich nun ja "der Westen einmische" spreche man auch in Russland offiziell und unverblümt vom "Krieg" anstelle des Begriffs Spezialoperation. Man muss ja die Ukraine "entnazifizieren".
Nochmal: Es ist mir unverständlich, wie dort alle die Füße stillhalten und es als "gegeben" hinnehmen. In einer perfekten Welt würde sich das Volk ihn krallen und mit brennenden Mistgabeln (!) aus dem Land jagen.
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