Sommerzeit - Reisezeit. So war das schon immer. Bestens bekannt sind die Geschichten von Eltern, die ihre Kinder zwei Tage vor Ferienbeginn von der Schule befreien wollen, um etwas günstiger in den Familienurlaub starten zu können oder die alljährlichen Stauwarnungen des ADAC am ersten Ferienwochenende. Und dann geht es halt entweder im dicht besetzten Ferienflieger und anschließendem zweistündigen Bustransfer in die mediterrane Masthaltung mit Strandauslauf oder nach 1.500km und reichlich Stop-and-Go auf der Autobahn an den Campingplatz. So weit, so bekannt.
Auf Platz 1 der beliebtesten Reiseziele steht übrigens... Deutschland. Ja, 28% der Befragten machen am liebsten Urlaub im eigenen Land, ob an Nord- oder Ostsee oder in den Bergen. Mit auf dem Siegertreppchen: Spanien (8%) und Italien. Skandinavien (3,8%), die Türkei (3,5%), Griechenland (3%), Frankreich (2,3%), Österreich (1,8%) und Kroatien (1,7%) vervollständigen die Top10. Das die tatsächlichen Zahlen. Für jeweils knapp 60% der Deutschen sind Spanien und Italien generell attraktive Urlaubsländer, die für sie in Frage kämen.
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Für die gleichmäßige Bräunung: "Und jetzt alle linksherum wenden" - Quelle: Travelbook |
Halten wir also fest: Der Klassiker unter den Urlauben ist zum Großteil immer noch ans Meer, Strand und (nach Möglichkeit) Sonne tanken. Doch man kann den Eindruck gewinnen, dass es sich (immer noch) auf ein paar beliebte/bekannte Hot Spots konzentriert. Nur wenige suchen sich eine privat geführte Pension irgendwo im Hinterland (sind meist auch schwierig zu finden) und machen behutsamen "Öko-Tourismus". Für viele ist es dann doch die 400-Betten-Anlage direkt am Strand. Das führt dazu, dass in manchen Städten Unmut wächst. Der Unmut der Einheimischen gegenüber den Touristen. Mancherorts ist das Verhältnis abstrakt geworden: Venedig zählt knapp über eine Viertelmillion Einwohner_innen, aber jährlich beinahe 12 Mio. Übernachtungen. Heißt im Schnitt kommen auf jede/n Einwohner/in Venedigs vier Touristen im Monat. Daher zahlen Besucher_innen nun auch fünf Euro Eintritt in die Stadt.
Seit seinem Beginn vor etwa 150 Jahren hat sich der moderne Tourismus weltweit zu einer hochprofitablen Industrie entwickelt, die große Mengen von Menschen und Kapital bewegt. Reisten 1959 nur 25 Millionen Menschen durch die Welt, so ist ihre Zahl inzwischen auf jährlich 1,4 Milliarden angeschwollen, und für das Jahr 2030 werden sogar ganze 2 Milliarden prognostiziert. Verständlich: War Fliegen in den 50er/60er-Jahren noch ein Privileg für Besserverdienende (roter Teppich auf dem Rollfeld, Hüte, Handschuhe und Nerze bei den Frauen, ital. Anzüge bei den Herren), gab es um die Jahrtausendwende Flüge, die günstiger waren, als das Taxi zum Flughafen - "Fliegen zum Taxipreis" war ein Werbeslogan, der ähnliche Berühmtheit wie der (nahezu zeitgleiche) "Geiz ist geil"-Ausspruch erlangte. Die aktuelle Pleite des Reiseanbieters FTI ordnet die Tourismusbranche neu, künftig buhlen nur noch vier große Anbieter um Pauschalreisende. Für TUI oder Alltours sind das gute Aussichten – für Urlauber eher nicht. Mittel- spät. langfristig wird dies aber definitiv das Ende des Billigurlaubs bedeuten und genau genommen kann das nur ein Weg in die richtige Richtung sein - 3-Sterne-Hotel eine Woche all inclusive für 199 Euro kann niemals funktionieren. Das ist wie das "Tierwohl-Nackensteak" für €2,99/kg.
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Mit dem Kreuzfahrtschiff direkt in die historische Altstadt - (C) Tjeerd Royaards |
Andernorts ist wie gesagt der Unmut in Frust und Wut umgeschlagen. In Spanien werden Touristen, die im Restaurant einen Wein trinken, neuerdings mit Wasserpistolen attackiert. Einheimische beklagen, dass unter anderem der Wohnraum zu knapp und zu teuer ist. Grund: Anstatt an Spanier_innen zu vermieten, wird Wohnraum lieber als Ferienwohnungen genutzt. Da lässt sich binnen einer Woche mit Feriengästen ebenso viel oder mehr verdienen, wie in einem Monat mit Dauermietern. Und das ist überall gängig: Ein Ferienhaus in Dänemark kostet in der Hauptsaison im Sommer gerne mal 2.000 Euro die Woche - gut, in der Nebensaison (Herbst o.ä.) dann auch nur 400,-. Aber normal zahlt man hier mehr Geld für eine Woche Urlaub, als daheim für seine monatliche Miete.
In Barcelona sind die Durchschnittsmieten in den letzten Jahren um 68 Prozent gestiegen. Gleichzeitig müssen die Einheimischen in den beliebten Touristengebieten viel mehr für Lebensmittel und Restaurantbesuche bezahlen. Das wollen viele nicht mehr hinnehmen. Auch die vielen Terrassen der Tapasbars und Restaurants sind ihnen ein Dorn im Auge. „Wir können nicht mehr mit unserem Hund Gassi gehen. Überall stehen Tische und Stühle“, sagt eine Aktivistin im spanischen Fernsehen. Aber ist es ein probates Mittel, Touristen zu bespritzen, zu beschimpfen und vom Strand zu verscheuchen ("Tourists go home - you are not welcome" ist sehr unmissverständlich)? Menschen, die Geld ins Land bringen? Der Tourismus ist für Spanien ein gutes Geschäft. Im Jahr 2024 soll die Reise- und Tourismusbranche 24,3 Milliarden Euro Umsatz machen. Bis 2028 soll der Umsatz auf 27,7 Milliarden Euro steigen, so eine aktuelle Prognose. Ich denke, nicht zwingend die Touristen sind das Problem. Der Hebel muss seitens der (spanischen) Regierung angesetzt werden. Es gäbe genug Möglichkeiten beispielsweise der Profitgier spanischer Immobilienbesitzer einen Riegel vorzuschieben.
Okay - schaut man sich manche Zeitgenossen an, die in der Mittagssonne bis zur Besinnungslosigkeit Sangria aus dem Eimer saufen, daraufhin den Strand vollkotzen und des nachts laut grölend durch die Schinkenstraße laufen, kann man die Einheimischen sicher etwas besser verstehen. Und wenn das auch noch die Fraktion ist, die sich hierzulande über Ausländer beschwert, "die sich nicht benehmen können", dann fällt einem dazu gar nichts mehr ein. 45% der Wirtschaftsleistung Mallorcas werden mit Tourismus generiert. Und anfangs ist der ja erst einmal positiv, auch für die Einheimischen: Es gibt mehr Restaurants, Aktivitäten, Steuereinnahmen und Arbeitsplätze. Aber es gibt eben auch den Punkt, wo die Nachteile größer werden als die Vorteile. Man hat dann häufig eine Situation, in der bestimmte vom Tourismus stark profitierende Akteure diesen Sektor weiter ausbauen wollen (Stichwort Kapitalismus: Gewinne werden immer in Wachstum gesteckt), während immer mehr Einheimische die Nachteile verspüren. Zu diesen Nachteilen gehören Jobs mit schlechter Bezahlung, Lärm, Schmutz, hohe Preise. Dazu kommt der Ausverkauf der Inselimmobilien. 14,4 Mio. Menschen reisten 2023 auf die Balearen. Schon öfter wuchs der Wunsch, weg vom Ballermann-Image, hin auch zu gehobenem Tourismus. Bis dato ist das nur vereinzelt gelungen, abgesehen von den 1-Sterne-Unterkünften für obiges Klientel, welches max. 100 Euro/Woche für eine vollgesiffte Matratze und einen Ausblick auf den Mülltonnen-Hinterhof ausgeben will, weil es die meiste Zeit eh im Mega-Park, Bierkönig oder Oberbayern verweilt..., diese Bruchbuden wurden teils in Wohngebäude umgewandelt.
In einem früheren Beitrag habe ich bereits darüber berichtet, dass in wenigen Jahren einerseits die Preise extrem angezogen haben (gleiches Hotel, dieselbe Dauer, 1.000 Euro teurer, weniger Leistung), andererseits an öffentlichen Stränden nun "Eintrittsgebühren" verlangt werden und die Strafen für, ich nenne es mal "ungebührliches Verhalten" ebenfalls über Gebühr angestiegen sind. Beispiel: Außerhalb von Badebereichen oberkörperfrei oder in Badebekleidung rumlaufen? Bußgeld zwischen 25 und 500 Euro! Das sind auch Maßnahmen, wie man überbordendem Tourismus Einhalt gebieten kann. Viele sagen sich dann wohl "Da bleibe ich lieber zu Hause/auf 'Balkonien',etc.".
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Wahl zwischen Pest und Cholera - (C) Tjeerd Royaards |
Dass sich das Mittelmeer immer noch so hoher Beliebtheit erfreut, ist auch angesichts des Klimawandels erstaunlich. Speziell in den Sommermonaten sind in Spanien und Italien Temperaturen jenseits der 40°C keine Seltenheit mehr - selbst im Dezember hat man schon 30°C gemessen... wohlgemerkt auf der Nordhalbkugel - IM WINTER! Am 11. August 2021 war in Sizilien mit 48,8°C der Hitzerekord in Europa gemessen worden. Ein Trend der sich dem entgegenstellt: Fjorde und Polarkreis statt Mittelmeerstrände lautet für immer mehr Touristen die Devise. Sie suchen in den Ferien im Norden Abkühlung, auch "Coolcation" genannt. Der Begriff setzt sich aus "cool" und "vacation" zusammen und bedeutet einerseits so viel wie "kühler Urlaub", andererseits steht "cool" aber auch für "ruhig". Sich auf Mallorca um die Liegeplätze am Strand zu streiten, passt demnach nicht mehr in das Urlaubskonzept vieler Europäer.
Denn "Bei Coolcation geht es nicht nur um das Wetter", sagt Susanne Andersson von Visit Sweden. "Es geht darum, an Orte zu reisen, die nicht nur kühler, sondern auch weniger überlaufen sind." Statt an überlaufenen Mittelmeerstränden zu braten oder sich in der Schlange vor der Akropolis Luft zuzufächeln, baden nicht wenige Urlauber lieber in einem Fjord oder atmen bei einer Wanderung frische Bergluft. Polarkreis statt Kreislauf könnte man sagen. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Übernachtungen von Besuchern aus dem Ausland in Norwegen um 22%, Schweden verzeichnete einen Anstieg um elf Prozent.
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Quelle: DerStandard.at |
Und das obwohl die Kosten in den nördlichen Ländern deutlich höher sind als in Deutschland bzw. im Süden Europas. Norwegen mit seinem knapp 23% höherem Preisniveau muss man sich dann auch erst einmal leisten können (2022 waren es noch 43%): Ein halber Liter Bier kostet im Restaurant gerne mal neun Euro, im Supermarkt auch schon die Hälfte. Seit Jahren eine günstige Option: Türkei und Kroatien. Auch in Spanien und Portugal ist das Preisniveau niedriger als hierzulande. Auch ein Geheimtipp: Albanien - nach dem Ende der Diktatur bzw. des Kommunismus Anfang der 90er ist es das letzte verborgene Juwel Europas und überaus erschwinglich.
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Teurer Norden, günstiger Süden - Quelle: Tagesschau/Destatis |
Auch wir überdenken unsere Urlaubsgewohnheiten, ob es nicht besser wäre (für Mensch und Tier) in den Sommerferien eher gen Norden zu fahren und den Süden eher im Frühling oder Herbst zu bereisen. Oder halt auch Ziele abseits des Standards zu besuchen. Dieses Jahr wird es nochmal "klassisch" sein: Sommer Toskana, Herbst Dänemark.
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