Was ist da bloß los in der CDU/CSU? Zuerst gehen sie auf diejenigen los, die am wenigsten haben in der Gesellschaft, die am Existenzminimum leben. Okay... noch irgendwo nachvollziehbar - also für die CDU meine ich. Dann heißt es, Rentner müssen mehr bzw. länger arbeiten - das forderte zum einen Wirtschaftsministerin Reiche (CDU), wie auch ihr Parteikollege Linnemann. Okay, wenn man auch schon fast 1.200 Euro Altersbezüge bekommt, wenn man es nur einmal für vier Jahre in den Bundestag geschafft hat, kann man das mal raushauen (zum Vergleich: Ein Arbeitnehmer müsste dafür 28 Jahre arbeiten/einzahlen - Und: Der Maximalanspruch liegt bei 7.700 Euro nach 21 Jahren Parlamentszugehörigkeit). Und nun kommt die nächste Hiobsbotschaft für die ältere Generation: Ab einem bestimmten Alter sollen nicht mehr alle Gesundheitsleistungen bezahlt werden.
![]() |
| Zustände wie im alten Rom? Grafik: Collage |
Zumindest, wenn es nach gewissen Personen in der CDU geht. Hendrik Streeck, im Übrigen selbst Mediziner und seit März Bundestagsabgeordneter (CDU) und Drogenbeauftragter der Bundesregierung hatte da diesen kontroversen Vorschlag: Teure Therapien bei einer Hundertjährigen, etwa bei einer schweren Krebserkrankung, ständen seiner Meinung nach in keinem Verhältnis mehr. Da müsse man sich fragen, ob man „wirklich diese teuren Medikamente“ anwenden müsse. Als Beispiel dafür nannte Streeck die Erfahrungen mit seinem am Lungenkrebs erkranktem Vater: „Es wurde in den letzten Wochen, wo er gestorben ist, so viel Geld ausgegeben. Und es hat nichts gebracht. Es wurden die neuesten Therapien aufgefahren. Es hat nichts gebracht. Und er hat mehr dort ausgegeben als je in seinem ganzen Leben im Gesundheitswesen.“.
Oookaaay.... betrachten wir - auch wenn's schwer fällt - erst einmal nur ganz nüchtern die Zahlen:
GESAMTKOSTEN GESUNDHEITSWESEN: Im vergangenen Jahr gaben die Krankenkassen rund 327 Milliarden Euro aus. Der größte Kostenblock sind dabei stationäre Behandlungen mit rund 102 Milliarden Euro, gefolgt von Medikamenten mit bummelig 55 Milliarden Euro und ambulanten Behandlungen mit um die 50 Milliarden Euro. Die Kosten steigen dabei seit Jahren enorm. 2009 lagen sie mit rund 167 Milliarden Euro nur etwas mehr als halb so hoch. Für dieses Jahr wird eine Steigerung der Ausgaben um 5,9 Prozent auf über 346 Milliarden Euro erwartet.
Zwischenfrage: Warum verweigern wir nicht einfach jemandem, der mit 240 km/h auf der Autobahn einen Unfall verschuldet hat, die teuren OP-Kosten?
ANZAHL ALTER MENSCHEN: Der Hauptgrund für die seit Jahren stark steigenden Kosten ist die Alterung der Gesellschaft. Weil ältere Menschen häufiger krank werden, sich verletzen oder schlicht anfälliger für schwere Erkrankungen und Verletzungen sind, steigen die gesellschaftlichen Kosten, je mehr Senioren es in einem Land gibt. Von 2011 bis 2024 ist etwa die Zahl der Über-60-Jährigen in Deutschland um 19 Prozent von 21,4 auf 25,5 Millionen Menschen angestiegen. In der Gruppe der 80- bis 100-Jährigen ging es sogar um 42 Prozent auf 6,0 Millionen Personen nach oben. 17.901 Menschen sind sogar älter als 100 Jahre.
Zwischenfrage: Warum verweigern wir nicht einfach auch jahrzehntelangen aktiven Raucher_innen die Behandlung von Lungenkrebs?
KOSTEN JE ALTER: Die Kosten steigen mit dem Alter deutlich an. Kinder unter 15 Jahren kosteten das Gesundheitssystem nur 2.450 Euro im Schnitt. Menschen im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 65 Jahren steigerten sich auf 3.790 Euro. Ab dem Senioren-Alter geht es steil nach oben. Zwischen 65 und 85 Jahren lagen die durchschnittlichen Kosten schon bei 11.480 Euro, bei den Über-85-Jährigen waren es sogar 28.860 Euro.
Zwischenfrage: Warum verweigern wir nicht einfach Menschen, die ihr Leben lang rotes Fleisch und Fast Food gegessen haben, die Behandlungskosten ihrer Herz-Kreislauf-Erkrankung?
MÖGLICHE "ERSPARNIS": In der Gruppe der 65- bis 85-Jährigen gibt es aktuell rund 16,1 Millionen Menschen. Bei den Über-85-Jährigen wären es 4,5 Millionen Personen. Über 100 Jahre alt sind wie gesagt gerade einmal 17.901 Personen. Die Frage ist nun, welcher Altersgruppe will Streeck welche medizinischen Therapien versagen. Bleiben wir bei seinem Beispiel der 100-Jährigen und älteren Menschen. Es gibt keine Statistik darüber, wie hoch die Kosten der Krankenkassen für diese Altersgruppe sind, aber nehmen wir einmal hypothetisch an, sie lägen astronomisch hoch - noch einmal bei dem Dreifachen der Gruppe aller Über-85-Jährigen. Das wären 86.580 Euro pro Jahr und Person. Nun will Streeck diesen Menschen nicht alle Therapien versagen, aber selbst, wenn er das täte, lägen die Einsparungen für das Gesundheitssystem bei gerade einmal 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Zur Einordnung: Das wären 0,4 Prozent der gesamten jährlichen Kosten.
Um wirklich Geld damit zu sparen, Senior_innen medizinische Behandlungen zu verbieten, müsste man also (theoretisch) viel weiter ausholen. Würden wir alle Krebstherapien für Menschen über 65 Jahren einstellen, wie Streeck es angesprochen hat, würde das bereits 32 Milliarden Euro einbringen. Erkrankungen des Kreislaufsystems wie Bluthochdruck oder Infarkte sind sogar noch teurer: Müssten sie bei Senioren nicht mehr behandelt werden, brächte das fast 58 Milliarden Euro pro Jahr ein. Zusammen wären das also 90 Milliarden Euro pro Jahr oder rund 26 Prozent aller Kosten im Gesundheitswesen.
ZWISCHENFAZIT: Einer Hundertjährigen besonders teure Therapien, etwa bei fortgeschrittenem Krebs, nicht mehr zukommen zu lassen, hätte auf die gesamten Kosten unseres Gesundheitssystems prozentual praktisch kaum einen Einfluss.
![]() |
| Denen ist schon klar, dass die damit ihre größte Wählerschaft dazimieren würden? Grafik: Tagesschau |
Kommen wir zur viel wichtigeren Seite (und damit zur Beantwortung der rein rhetorischen Zwischenfragen): Der ethischen. Würde man wirklich solch ein Verfahren anwenden wollen, müsste künftig der Staat festlegen, welche Therapien ab welchem Alter nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt werden. Ein Arzt oder eine Ärztin stellt dann im Grunde nur noch die Diagnose. Eine Verwaltung würde festlegen, welches Leben noch "erhaltenswert" ist und welches nicht. Wird dies einmal angewandt, ist der Schritt dazu, die Zahl der nicht mehr erhaltenswerten Leben immer mehr auszuweiten, nur noch ein geringer. Warum nur bei besonders teuren Krebstherapien für über 100-Jährige sparen? Warum nicht auch bei Blutdruckmedikamenten für 50-Jährige?
Das stände auch in Konflikt mit der Berufsethik von Ärzt_innen und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Letzteres verbietet die Diskriminierung von Menschen wegen Alters auch bei Versicherungen. Krankenkassen dürften also (um bei dem Anfangsbeispiel zu bleiben) einer Hundertjährigen nicht eine (Krebs-)Therapie versagen, die sie einer 20-Jährigen zukommen lassen würden. Für Ärzt_innen gilt zudem die Berufsordnung der Bundesärztekammer, die 2024 in der neuesten Fassung beschlossen wurde. Dort heißt es bereits im Paragraf 1, dass es Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte sei, „Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen.“ Jemandem eine teure Therapie aufgrund seines Alters zu versagen, würde dem ebenso widersprechen wie Paragraf 2, der festlegt: „Insbesondere dürfen sie nicht das Interesse Dritter über das Wohl der Patientinnen und Patienten stellen.“ Damit sind auch die wirtschaftlichen Interessen von Krankenkassen gemeint.
Und überhaupt: Was ist mit Grundgesetz Artikel 2 "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit", was mit Artikel 3 "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich"? Zur Erinnerung: Wir hatten das schon einmal in diesem Land, dass der Staat entschieden hat, welches Leben lebenswert ist und welches nicht - wenngleich mit einigen anderen Parametern.
Die alternde Gesellschaft ist nicht der einzige Grund für gestiegene Gesundheitskosten. Ein weiterer ist das Paradoxon, dass in einem besseren Gesundheitssystem zwar mehr Menschen geheilt werden, die Behandlungskosten pro Patient jedoch auch steigen. Das liegt daran, dass gute Systeme wie das deutsche immer schwerwiegendere Krankheiten behandeln können. Neue Therapien sind jedoch meist auch teurer, da sie beispielsweise spezielle Geräte oder Medikamente erfordern. Dies sind im Endeffekt die Therapien, die Herr Streeck in der Talkshow ansprach. Und der dritte Grund für die steigenden Kosten: Die hohe Ineffizienz unseres Gesundheitssystems. Die wiederum ist (hauptsächlich) darin begründet, dass es bisher nur unzureichend digitalisiert ist. Die Unternehmensberatung McKinsey folgerte aus zwei Studien 2018 und 2023, dass sich mit simplen Mitteln hier schon mehr als 40 Milliarden Euro pro Jahr einsparen ließen.
Was Herr Streeck vorschlägt, ist nichts anderes, als Menschen mit bestimmten Erkrankungen und einem bestimmten Alter einfach sterben zu lassen – aber nur diejenigen, die sich die teuren Therapien nicht selbst leisten können. Reiche Privatversicherte müssten sich keine Sorgen machen. Was Streeck also implizit will, ist, arme (kranke) Rentner loszuwerden. Anstatt sozialen Unfrieden zu stiften, solle sich Streeck auf seine Kernaufgaben der Drogenbekämpfung konzentrieren.
CDU, was ist falsch mit dir? Wofür genau stand nochmal das "C" in deinem Namen???
Und wo wir schon bei Fragen sind (nicht, dass es schon einmal erwähnt wurde), aber was ist mit dem Milliardenschaden (bis zu 3,5 Milliarden) den Jens Spahn (CDU) aus seinem Masken-Skandal zu verantworten hat?
Was ist mit den rund 243 Mio. Schadensersatz, den Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wegen dem Maut-Desaster zu verantworten hat?
Was ist mit den über 600 Mio. Euro, wovon rund 7 Mio. sogar die Krankenkassen übernehmen, die jährlich für Zuckerkügelchen AKA "Homöopathie" ausgegeben werden, weil da eine Lobby ganz hervorragende Arbeit leistet?
![]() |
| Fotos: Postillion |



Kommentare
Kommentar veröffentlichen